What a long, long time…

•März 18, 2016 • Kommentar verfassen

4.11.15: 194. Dieses bestimmte Etwas, das aus alltäglichen Kleinigkeiten Höhepunkte zaubert – das fehlt schon sehr.

5.11.15: 195. Einiges geht besser. Herbst hilft. Momente des inneren Friedens. Ansätze von Struktur. Wie Kathrin immer sagte: „Wird schon, Herzele, wird schon.“

06.11.15: 28 Wochen. Endlose Ferne, keine Distanz.

08.11.15: 199. Das Leben schlägt seltsame Kapriolen. Wie sonst lässt sich erklären, dass ich noch da bin und Du nicht?

09.11.15: 200. Diese Trauer und Schwermut haben ihren Ursprung in dieser wunderbaren Liebe, das darf ich nie vergessen.

11.11.15: 202. Ich schreibe wieder. Das würde Dir sehr gefallen.

13.11.15: 29 Wochen. Es geht mir deutlich besser, seit 14 Tagen. Regelmäßige Arbeit, strukturierte Abläufe – das tut ungemein gut. Das Leben mit Dir ohne Dich gestaltet sich langsam. Ich denke, ich entspreche uns mehr, wenn ich Kräfte sammle. Ein wenig Sinn muss das Oxidieren ja auch hergeben. Ich küsse Dich.

14.11.15: 204. Die Welt hält den Atem an. Die Zeit spielt verrückt. Ich würde mich so gerne an Dich anlehnen, jetzt. Das sind diese Momente, in denen Du unglaublich stark und wunderbar sachlich bist. Du zwingst mich zum Lachen. Das macht Vieles leichter.

16.11.15: 206. Erst kommt der Schock, dann die Einwirkung, schließlich die Erholung. Könnte es tatsächlich sein, dass ich langsam in Phase Drei übergehe? Wäre nicht schlecht. Täte uns beiden mal gut.

17.11.15: 207. Weil das Unfassbare immer unfassbar bleiben wird, sollte man es unangetastet lassen.

18.11.15: 208. Schlafe schlecht. Nicht tragisch. Was in der Nacht fehlt, hole ich am Tage nach. Draußen verpasst man nicht viel.

19.11.15: 209. Soweit alles schick, aber diese Schlafstörungen, die sind doch sehr anstrengend. Ich weiß ja nicht, ob Du da irgendwas dran drehen kannst, aber wenn – mach’s wie immer, tu Dein Bestes.

20.11.15: 30 Wochen. Je länger die Zeit andauert, desto unwirklicher wirkt das Ende, das sie mit Dir genommen hat.

22.11.15: 212. Letzte Nacht das erste Mal seit einer Woche so richtig schön durchgeschlafen. Zwar beginnt der Tag mit der Abenddämmerung, die ja im Grunde schon mittags einsetzt, aber ohne diese müde Schwäche, die dann gerne in unkontrollierbare Traurigkeit übergeht. Um mit der Trauer zu leben, braucht es Kraft. Die rettet die Schönheit unserer Begegnung ins Jetzt.

23.11.15: 213. Dieses winterliche Geflusel entbehrt jedweder Romantik. Es ist kühl und grau. Wunderbar, vor allem, wenn sich der sentimentale Plebs auf „die schönste Zeit im Jahr“ einkrampft. Der Gedanke an unsere geteilte Advents-Verachtung erfreut mich immer wieder aufs Neue.

24.11.15: 214. Heute dachte ich an Deinen Ehrbegriff. Chauvinistisch, durch und durch. Man darf nicht daran kratzen, das verletzt Deinen Stolz. Ich bin furchtbar neidisch auf so ein Selbstbewusstsein. So vordergründig es sein mag. Und weiß ich auch, dass solch ein Panzer Kerker werden kann. Ich hätte gerne was davon.

27.11.15: 31 Wochen. Gut erkältet. Doch das Leiden hält sich in überschaubaren Grenzen. Es wintert, das schafft wenigstens klimatisch etwas Klarheit. Die Dinge schieben sich zusammen, bauen sich neu auf. Der Gedanke an Dich wärmt.

29.11.15: 219. Was ich auch jemals gesagt haben mag – ich werde immer an Deiner Seite stehen.

30.11.15: 220. Ich liebe Dich. Sehr, sehr.

01.12.15: 221. Zahnarzt. Ohne Deinen Begleitschutz.Sonderbar, ein Leben ohne Bodyguard. Wobei ich, angesichts meiner neuen Furchtlosigkeit, überzeugt bin, Du bist als Schutzengel dabei.

02.12.15: 222. Heute Nacht wieder von Dir geträumt. So wahnsinnig real. Darauf folgen dann immer wieder die Tage, in die ich schwerer hineinfinde. Das Guten-Morgen-Labyrinth.

03.12.15: 223. Glück lernen.

05.12.15: 32 Wochen. Heute war mal wieder schmerzhaft. Ein Wechselbad. Andererseits lässt es Leben spürbar werden.

06.12.15: 225. Ich werde Dir immer treu sein. Kein Mensch darf Dir je zu nahe treten. Ich stehe für Dich ein.

07.12.15: 227. Ein ziemlich ausgefallenes Wochenende liegt hinter mir. Der Stimme verlustig gegangen, fehlen mir die Worte. Ich denke an Dich.

08.12.15: 228. Heute laufe ich wie auf Federkern, der Boden stößt mich ab. Hausaufgabe: Mich zum Glück zwingen.

09.12.15: 229. Der Wahnsinn kennt keine Grenzen. Gestern in einer Scheißaufführung gewesen, Du hättest Dich an den herunter geklappten Kinnläden gelabt. Alles ging schief. So, wie Du es magst. Alles, wie Du es magst.

11.12.15: 33.Wochen. Winterschlaf. Es ist gar nicht so schlecht, mit mir zu sein.

13.12.15: 233. Es ist so ruhig. Friedlich geradezu. Ich habe die Welt ausgesperrt. Eine kleine Pause. Kurze Auszeit. Das Jahr geht zuende. Das nächste, das erste nach Dir, wirft Schatten voraus.

14.12.15: 234. Ob ich mich je daran gewöhne, ohne Deine Ansprache, Zusprache zu sein? Diese über Jahre erwachsene Vertrautheit? Oder zumindest aus deren Schattenseiten hervortreten zu können? Ob ich jemals wieder das hingefallene Wort, den automatischen Blick, das stumme Verstehen zurückhalten kann? Ob dieses Leben wirklich irgendwann eigene Pfade schlägt oder auf vorgegebenem Weg weiterschreitet? Das sind alles solche Fragen an diesen langen, langen Abenden.

15.12.15: 235. Der vierte Tag des krankheitsbedingten Schweigens geht vorüber. Ich überlege, ob ich das nicht phasenweise freiwillig mache – einfach mal eine Woche Fresse halten. In der Stille fühle ich mich Dir so nah.

16.12.15: 236. Ich trauere nicht dem Gewesenen hinterher. Zumindest versuche ich, das nicht zu tun. Vielmehr beschäftigt mich das, was hätte sein können, was geworden wäre. Unsere Jahre waren stets in Bewegung, in Entwicklung. Und selbst aus den dunkelsten Nächten fanden wir einen gemeinsamen Weg. Wir hielten uns aneinander fest, wenn es sehr wild wurde. Ich glaube fest daran, dass wir auch dieses Tal gemeinsam überwunden hätten. Hätten wir nur die Chance dazu gehabt. Das Leben ist nicht fair, ich weiß. Und auch diese ewige Frage, warum Du vor mir gehen musstest, ist völlig sinnlos. Ich bin sehr alleine ohne Dich, mein Marcel. Und meine Versprechen sind nicht erloschen. Du weißt ja, wie treu mein Herz ist.

17.12.15: Nacht 236. Ich würde so gerne glauben. Ich weiß nur nicht, an was.

18.12.15: 34 Wochen. Keine einfachen Tage, zumal sie immer kürzer werden. Auch wenn wir mit Weihnachten nie was anfangen konnten – der allgemeinen Adventsseligkeit ist schwer auszuweichen. Wenn man sagt „Du bist mein Leben“, das ist nicht nur so dahin gesprochen. Ich habe nur geahnt, was diese Worte bedeuten. So genau wissen wollte ich das eigentlich nicht.

20.12.15: 239. Ach, mein Prinz, die Welt ist ohne Dich soviel weniger bunt.

22.12.15: 242. Ich bin dieses immer-wieder-Duchdeklinierens „was wäre, wenn“ so müde. Das ist so kräftezehrend. Und doch setzt dieser kranke Automatismus in schöner Regelmäßigkeit wieder und wieder ein. Lähmend ist das, selbstmitleidig und traurig. Und so ein Trauerclown will ich nicht werden.

23.12.15: 243. Morgen ist Heiligabend. Frühlinghshafter Winter. Heute habe ich gekocht, war viel bei Dir. Ich liebe Dich, wie am ersten Tag.

24.12.15: 244. Heiligabend. Kein magisches Datum, Gottlob. Bei der medialen Rührseligkeitsgrütze vermisse ich Deine Präsenz doch sehr. Das gemeinsame sich-über-die-Dinge-lustig-machen. Dieses Jahr schießt die Panniwerbung den Vogel ab. Die Pfannimutti ruft ihre Pfannitochter in Australien an und muss weinen weil Weihnachten und halbe Welt dazwischen und so. Aber sie hat dem Kind als Frohe-Fest-Impression eine Packung Pfanni-Fertig-Kartoffelknödel zukommen lassen. Da klingelt es an der Türe und das Pfannigirl steht davor mit nichts im Gepäck als Muttis Pfanni-Fertig-Kartoffelknödel; davon gibt’s ja in Deutschland so wenige. Wunderbar. Kafkaesk geradezu. Würde Dir sehr gefallen.

25.12.15: 35 Wochen, 8 Monate und ein Tag, 8 Millionen Ewigkeiten und keine Achtel Sekunde. Was spielt Zeit noch für eine Rolle? Die Vergangenheit macht blind für die Gegenwart – bisweilen ein angenehmer Fluchtort, dieses Dunkel. Ich ertappe mich dabei, wie ich immer wieder, trotz mangelnden Glaubens, auf ein Zeichen hoffe. Irgendwas, das alledem ein wenig Sinn gibt. Oder mich hoffen lässt. Das wäre so ein Wunsch, der wohl niemals in Erfüllung geht.

27.12.15: 247. Die Erkältung scheint endgültig zu weichen. Ich habe mich eingegraben. Es fällt mir nachhaltig schwer, einen Sinn in alledem zu sehen und eine bleibende Perspektive zu finden. Ich habe viel gezappelt in den letzten Monaten, mich gewehrt, versucht, kräftig zu sein, Dir und anderen zu genügen, ein Bild aufrechtzuerhalten, die Illusion einer Fassade. Ich muss mir wohl eingestehen, dass all das verlorene Liebesmühe war. Das ist ja kein Grund, sich umzubringen. Es stellt sich nur täglich die Frage nach dem Weiterleben. Vor allem nach dem Wie.

28.12.15: 248. Wie sehr die Situationen sich gleichen. Heute vor einem Jahr, am Vorabend unseres achten Hochzeitstages, saß ich an selber Stelle, alleine. Du warst demonstrativ nach Rostock abgereist, wir hatten uns wohl wieder furchtbar gestritten. Wir sprachen nicht miteinander. Bis Neujahr bist Du fortgeblieben. Wir waren beide in keiner guten Verfassung. Zumindest streiten tun wir nicht mehr.

29.12.15: Nacht 249. Mein Geliebter, ich bin an einem Ort, wo der Tod keine Rolle mehr spielt.

29.12.15: Neunter Hochzeitstag. Weinen kann ich nicht. Mag auch nicht. Tränen sind mir derzeit ausgegangen. Ich vermisse Dich sehrsehr.

31.12.15: 251. Silvester. Auch das geht rum.

01.01.16: 36 Wochen. 2016. Seltsam, das Jahr ohne Dich zu beginnen. Vieles ist mir in den letzten Monaten klar geworden, anderes stimmt mich umso verwirrter. Mein Leben zu beenden ist mir nie wirklich in den Sinn gekommen. Freitod ist ja keine Befreiung. Eine abgebrochene Mutprobe allenfalls, ein abgewürgter Schrei. Etwas von Dir ist immer noch hier. Vieles von Dir lebt in mir weiter. Ich finde mich langsam damit ab, dass es keine abschließenden Erklärungen gibt. Keine Antworten auf wirklich drängende Fragen. Was mich antreibt ist der Versuch, dieses Sein zu gestalten. Das Leben an sich ist ja gar kein schlechtes Konzept. Die Erinnerung an Dich umgibt mich. Das tröstet.

03.01.16: 254. Gestern ein interessantes Gespräch gehabt zum Thema „Zum Leben verurteilt“. Klingt nach mächtig Pathos, aber meint doch bloß das Schlittern in Umstände, die man sich so nie gewünscht hätte. Danach eine Klotüre in die Fresse gekriegt. Riskiere eine entsprechend dicke Lippe. Nach den Dezembertälern könnte ich einen kleinen Aufstieg vertragen.

04.01.16: 255. Eiskalt ist es. Das macht den Kopf frei. Langsam kehrt die Stimme zurück.

05.01.16: 256. Wenn ich wieder etwas bei Kräften bin, dann werde ich eine Liste aufstellen, warum Du so cool warst, wie Du warst. Im Augenblick fehlt mir die Kraft. Die ist rausgelaufen wie Wasser. Die letzten Wochen waren sehr, sehr problematisch.

06.01.16: 257. Wow, gestern war wirklich deprimierend. Aber die Ups & Downs sind weicher geworden, nicht mehr ganz so Achterbahn. Wobei Du mich in meinen Träumen umso heftiger heimsuchst. Beruhige Dich – ich vergesse Dich schon nicht.

07.01.16: 258. Heute Zahnarzt, weitere Renovierung der Speisekammer, noch wird ausgemistet, dann teils neu möbliert. Eva meinte, Du seist sicher stolz auf mich. Wohl, weil ich nicht schreiend die Tapete des Wartezimmers von der Wand kratze und mich auch mit sonstigem Theater zurückhalte. Aber, mal ganz im Ernst: Wovor soll ich mich noch fürchten?

09.01.16: 37 Wochen + 1 Tag. Heute kam Post für Dich. Das schmerzt immer wieder aufs Neue. Langsam sollte ich mir angewöhnen, nicht den ganzen Tag zu verschlafen. Der ist eh so kurz. Stephen Hawking sagt, dass, wo Leben ist, Hoffnung besteht. Da ist schon was dran.

10.01.16: 261. Schonung – s – los.

12.01.16: 263. Ich räume auf und um, innen wie außen. Ich erkenne so langsam die Konturen dieses neuen Lebens nach Dir mit Dir. Dich zu lieben, Dich wertzuschätzen, Dich ganz in meinem Herzen zu behalten steht nicht im Widerspruch dazu, die Zukunft, die sich immer noch als monströser Urwald darstellt, mit Vorhaben zu bestücken. Kleine Schneisen zu schlagen, Wege zu gestalten. Meine Stimme ist wieder da. Ich sammle Ideen, finde Worte. Unsere Sprache.

14.01.16: 265. Jetzt streust Du mit Bowie Sternenstaub und rezitierst mit Rickman Shakespeare. Was für eine schöne Illusion.

15.01.16: 38 Wochen. Was soll ich sagen. Du fehlst.

16.01.16: 267. Ich erinnere diesen japanischen Kinderfilm, in dem keiner zum Geburtstag des kleinen Mädchens erscheint, das danach an Krebs stirbt. Ja, mit solchen Gute-Laune-Schinken wurde unsere frühe Jugend versüßt. Heute fühle ich mich auch ein bisschen wie Bambi, dass nach dem Erschießungstod der Mutti an Leukämie laboriert. Lauschiges Kaminfeuer-Feeling Mitte Januar. Es kann nur besser werden.

17.01.16: 268. Gestern fiel Schnee. Allerdings glaubt sich der Winter selbst nicht. Ich warte darauf, dass die Tage merklich länger werden. Diese Nächte sind doch eher zäh.

20.01.16: 271. Mal kriecht die Zeit, mal verfliegt sie, und manchmal ist sie, wie in diesen amorphen Tagen, gar nicht vorhanden. Gestern habe ich einen Kurzurlaub gebucht, heute wurden die Möbel für die Gästezimmer geliefert. Das sind echte Großereignisse. Momentan verläuft die Linie ohne Tief- und Höhepunkte. Das Klirren des sich-drehenden Schlüssels im Türschloss, das entfernte Werkeln in der Küche, diese gelegentliche Unruhe, die nächtlich somnambulen Wanderschaften – ich erinnere viel, fast alles. Kein Grund zur Sentimentalität – ich habe es, als Du noch lebtest, geschätzt und genossen, Dich um mich zu haben. Ein Versäumniszuschlag weniger.

22.01.16: 39 Wochen. Heute wärst Du stolz auf mich. Ich habe drei Stunden Zahnbehandlung klaglos über mich ergehen lassen. Du hast mir so viele meiner Ängste genommen.

24.01.16: 275. Die Wohnung ist wieder „frei“. Ein unglaublich gutes Gefühl. Luft. Starre löst sich.Tauwetter.

26.01.16: 277. Momentan dehnen sich die Nächte. Die Schlaflosigkeit zehrt, nicht nur an den Nerven. Die Müdigkeit macht sentimental. Und furchtbar träge. Alles ist zu schaffen, auch wenn es noch so unschaffbar scheint.

27.01.16: 278. Ich bin nicht im Ansatz so alt und so weise wie meine Liebe, nicht so beständig und geduldig wie meine Gefühle, nicht so treu und stark und stolz wie die Emotionen, die Du in mir wecktest und wachhältst. Aber wenn es noch etwas Gutes in mir gibt, ein Licht, das von mir ausgeht, eine Wärme, die ich spende – und ich bin sicher, die gibt es – dann hast Du in mir geschaffen.

29.01.16: 40 Wochen. Letzte Nacht sehr viel und plastisch von Dir geträumt. Wir müssen loslassen, über kurz oder lang.

02.02.16: 284. Tut mir Leid, dass ich meine Nachrichten an Dich momentan etwas vernachlässige. Ich denke so viel und intensiv an Dich, dass ich bisweilen vergesse, meine Worte zu bündeln. Dabei ist es mir so wichtig, Dir zu zeigen, wie sehr Du in meinem, unser aller Leben, weiter existierst.

04.02.16: 285. Eine angenehme Langeweile erfüllte den Tag, der ich nicht per dringend nötiger Arbeit im Wege stehen wollte. Schwimmen in sämigen Gewässern.

05.02.16: 41 Wochen. Was bedeutet Zeit? Diese abstrakte Distanz? Sicher, es fällt leichter, mit Verlust, Trauer, Schmerz umzugehen. Man gewöhnt sich an seine ständigen Begleiter. Ein Dreivierteljahr, drei Jahreszeiten… Die Träume sind wieder so plastisch, dass der Weg in den Tag sehr verwirrend ist. Mit jeder Pore, jedem Atemzug vermisse ich Dich.

08.02.16: 290. Wenn mir, wie heute, hundeelend zumute ist, versuche ich an was Lustiges zu denken. Beispielsweise die *unheimlich guten Freunde*, die einen nach dem Befinden befragen und auf die Antwort „Eigentlich ganz okay“ schulterklopfend kontern: „Das nächste Tal kommt bestimmt.“ Na, danke vielmals.

10.02.16: 292. Du bist ein beharrlicher Wiedergänger. Zu Lebzeiten somnambul, nun Heimsucher meiner Träume. Das ist sehr verwirrend, Geliebter. Ich möchte zu gerne wissen, was Dich immer wieder zu mir treibt. Du wirst nie vergessen sein, keine Angst. Aber mal so ein zwei Nächte ohne Dich, das wäre vielleicht erholsam.

12.02.16: 42 Wochen. Heute war ich in der Show von Cora und habe für Dich mitgelacht, mein blonder Seemann. Anarchische Humorexplosionen. Das hat Dir ganz sicher gefallen.

13.02.16: Nacht 294. Ich denke (vielleicht zuviel) nach. Wir waren Zukunft. Ohne Dich ist sie nicht mehr da. Ich muss mir nichts vormachen. Der Lebenswert ist unter Raumtemperatur. Ich mache weiter. Doch die Frage darf erlaubt sein: Wozu? Ich hoffe mal, es ergibt sich was. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

14.02.16: 296. Valentinstag – oder wie auch immer die Geldwäsche sich schimpfen mag. In 5 Tagen geht’s in den Kurzurlaub. Wie schön wäre es… der ewige Konjunktiv. Die Zimmer sind fertig, die Fresse auch (fast), und eine weihnachtliche Ruhe legt sich in die Behausung. Du hast mich in den letzten Nächen schlafen lassen. Danke Dir.

15.02.16: 297. Würde mich heute jemand danach fragen, wie es mir ginge, könnte ich ehrlich antworten: „Es geht.“ Das ist in meiner Welt schon ein Highlight.

16.02.16: 298. Das Leben wird durchlässiger. Dagegen steht, dass seit Tagen kein Licht mehr scheint. Eine einzige Suppe. Der Atlantik wartet. Du bist dabei.

17.02.16: 299. Dieses ständige Beharren auf Stärke – ich weiß gar nicht, ob das so gut ist. Manchmal denke ich, diese ganze Kraft erstickt mich. Andererseits – würde ich sie aufgeben, mich den Schatten überlassen, das wäre auch eher irreführend. Passend zur Licht- und Wettersuppe bin ich in diesen Tagen einfach nur unendlich traurig.

19.02.16: 43 Wochen. Sitze auf gepackten Koffern. Die Vorfreude hält sich in Grenzen. Erstmal ankommen. Aber ohne Dich zu verreisen, das ist schon seltsam. So haben wir uns das eigentlich nicht vorgestellt.

20.02.16: 302. Angekommen. Den Flug verschlafen. Apartment mit Meerblick. Das wäre schon was für Dich .

21.02.16: 303. Viel Leder bevölkert das Eiland. Auch massenhaft Bekrückte marodieren über die Promenaden. Das erste Mal Meer ohne Dich. Nun ja, so ganz den Zauber hat es nicht mehr. Aber er ist auch nicht dahin.

22.02.16: 304. Heute eine Katz gesehen, die wahlweise mit oder ohne Schwanz promeniert. Der deutsche Senior trägt dieses Jahr Abricot zu Türkis-Oliv und mutiges Orange. Wunderbar.

23.02.16: Nacht 304. ich bin halt so ein olller Ehelappen. Schade eigentlich.

23.02.16: 305. Radiuserweiterung. Du wärst so stolz.

24.02.16: 306. Sonnendurchflutet. Das Meer, der Himmel. Von überall schaust Du mich an.

26.02.16: 44 Wochen. Mein Abendschöner. Morgen geht es zurück. Ins alte Leben. Es wird nicht leicht, alleine wieder, ohne Dich.

29.02.16: 311. Eingewöhnung. Die Sonne tat dem Herzen gut. Hier wartet viel Arbeit auf mich. Habe die Zimmer hergerichtet. Ich liebe Dich. Und kann Dein Strahlen langsam wieder spüren.

01.03.16: 312. Heute habe ich viel geweint, mein Schatz. Du hast mich in der Nacht wieder brutal besucht, und ich war wie ein Schlafwandler in der Wirklichkeit, die nicht wirklich ist. Ich mäandere so oft alleine durch die Behauptung der Realität – wer sollte mich schon begleiten, ohne Dich, nach Dir? Freundschaften sind nur Freundschaften. Begegnungen. Doch wissen wir sehr genau: Wenn es darauf ankommt, wirklich darauf ankommt, dann stehen wir alleine, und jetzt stehe eben ich alleine. Was sollen wir dem Rest der Welt einen Vorwurf daraus machen? Beim Rest wirst Du verblassen. Bei mir, leiderleider, nicht. Das Weiter ist eine täglich wachsende Kraftanstrengung. Fast ein Jahr? Ein Witz. Ich küsse Dich, Küsse, küsse, küsse Dich.

02.03.16: 313. Ein guter Tag. Habe gestern mit Bertie Sizilien geplant. Das heißt, nicht geplant. Eher allen Planungen entsagt. Was lässt sich schon groß planen? Hin- und Rückflug stehen, der Rest ist Schweigen – Deine Königsdisziplin.

03.03.16: 314. Viele Veränderungen, Du weißt, wie sehr ich das mag. Heute Heulsusentag. Ich gehe Dir damit nicht auf die Nerven.

04.03.16: 45 Wochen. Wenn ich bedenke, dass ich heute vor einer Woche von der Terrasse aus den Sonnenuntergang über dem Meer betrachtete, dann ist der hiesige Blick ins Schwarz schon eine ganz andere Nummer. Ich sehne die längeren Abende herbei, die milde Luft, die Sonne, bevor es wieder bullenheiß wird. Dann heilt Vieles auch schneller. Manschetten habe ich vor diesem „Jahrestag“. Dabei hat er dieselbe Gewichtung wie jeder Andere, aber sag das mal der Seele.

06.03.16: 317. O je. Man liest uns. Und ich kriege Rezensionen. Ich solle doch nun endlich mal… Ich denke ja gar nicht daran!

08.03.16: 319. Schüttelfrost und Kreislauf (nicht mehr vorhanden)… Kopf hämmert… Als hätte ich maximal durchgesoffen (was ich leider nicht habe)… Musste heute alles absagen… Hatte dafür ausgiebigen Traumbesuch… Hat ja auch was…

09.03.16: 320. War furchtbar krank. Nun gesund. Doch trotz allem Aufwärts, aller Glücksmomente, allen Lachens… Das Leben ist Scheisse ohne Dich.

10.03.16: 321. Ich arbeite am Tag-Nacht-Modus. Die Tage werden freundlicher; Zeit, die Nächte zu begraben. Die waren sehr lange sehr lang, lang-sam reicht’s. Suche den Tritt zurück in äußerliche Normalität. Nachtschichten sind zu anstrengend. Und vor den Träumen gibt es sowieso keine Fluchtmöglichkeit.

11.03.16: 46 Wochen. Besuch aus Paris. Ein anderes Flair, das Wochenende wird lustig. Ich muss oft und viel schlucken, Trauer wegdrücken. Es bringt ja nichts, ständig im Gestern zu verharren. Das Gestern ist ohnedies im Jetzt und das wird es auch bleiben. Geradezu unheimlich, Deine Präsenz. Kein Stück scheinst Du aus meinem Leben zu weichen. Ein doppelter Löwe eben, durch nichts von seinem Stammplatz zu verdrängen. Gut so, mein Großer. Du hast Dir Dein Terrain erkämpft.

13.03.16: 324. Ein schwarzer Sonntag. Die Rechten auf dem Vormarsch. Da fehlt Dein entspannend entwaffnender Humor schon sehr. Deine unterirdischen Witze über Frau Petrys Geschlechtsorgane, diese wunderbare Ignoranz und das Scheißen auf Korrektheit. Waren mit Moritz essen und Du saßest mir im Nacken und zwangst mich wieder mal dazu, entspannt zu sein. Du machst die großen Themen klein, das mag ich besonders an Dir.

14.03.16: 325. Es wird heller. Man spürt die Tage. Der Besuch ist weg. Wieder mal auf konstante Stille eingrooven. Das ist schon okay.

15.03.16: 326. Sooft ich zu Dir vordrang, sooft habe ich Dich verpasst. Es tut mir so Leid, was ich alles versäumte.

17.02.16: 328. Heute erster Frühlingstag. Du hast mit der Sonne geschienen.

18.03.16: 47 Wochen. Ob dieses Vermissen, die Schuldgefühle, die Traurigkeit, die Schwermut, das Auf und Nieder – ob all das je aufhört? Oder sich zumindest lindert? Fraglich. Ich weiß auch noch gar nicht, ob ich das will.

 

 

Notizen.

•November 3, 2015 • Kommentar verfassen

22.08.15

Wenn Werbung mein Haar in die Karibik entführen will – ist das eine Aufforderung zum Kahlschlag? Und wenn der „Weiße Riese“ (ist der Markenname eigentlich verdeckt rassistisch?) konstatiert, dass verschiedene Arten von Spaß verschiedene Flecken zeitigt – sind wir dann nicht in der Schmutzwäscheabteilung eines gut frequentierten Swingerclubs angelangt? Ich frag ja nur.

30.08.15

Wachste auf, machste Glotze an, siehste Presseclub, Markwort wie Löwe Clarence und Jörges mit Pornobalken, machste sofort wieder aus, schläfste weiter, träumste schlecht.

Beim „Hundetag auf Sixx“ geht es aktuell um Toffee, das trächtige Hängebauchschwein.

31.08.15

Berlin, Alexanderplatz, gefühlte 60 Grad, die Stadt klebt, Menschen bestehen aus Schweiß und Bindegewebsschwäche, das propere Mädchen neben mir möchte ich ob des amorphen Gewummers ihrer Ohrstöpsel erwürgen, aber selbst dafür fehlt die Energie.

01.09.15

14.00 Uhr, Adenauerplatz. Wieder mal ein „letzter heißer Tag“. Ein munterer Herrenhauf ernährt sich von in Bier pürierten Pommes, während die formschöne Zahnlose, das Smartphone per Sekundenkleber ans Ohr getackert, vorbeifahrenden Autos zuwinkt als seien sie Taxen – wohl, um die aparten Stempelkissen unter ihren Achseln mit Zugluft zu umwehen. Ich versuche, den in der U-Bahn eingefangenen Duft von Fäulnis und Verwesung loszuwerden. Ein vollkommen sinnloses Unterfangen.

Eben ein wuchtiges Mädchen gesichtet, das sich Tatzenspuren ins Dekolleté hat tätowieren lassen. Tatzen! Als hätte sich ein Waschbar zwischen ihren Möpsen eingenistet. Kopfkino.

02.09.15

19.00 Uhr, LIDL-Kasse, Menschenzoo. Es ist kaum verwunderlich, dass sich der klassische VoKuHiLa in erlauchten Kreisen einer großen Beliebtheit erfreut. Drei in einer Reihe gesichtet, bewaffnet mit mehreren Gallonen Klarem, auch so ein Evergreen. Da kann man nichts falsch machen. Der brutal Schielenden mit Migrationshintergrund kommen sichtbar arge Zweifel, ob ihre Entscheidung, keinen Einkaufswagen zu nehmen, wirklich die richtige war. Ihr Balanceakt ist nicht zirkusreif, aber durchaus unterhaltsam. Nur ein Besuch beim Zahnarzt kann den LIDL-Erlebnispark toppen.

11.09.15

Im Zuge der Spezialwoche „Grillen“ beim Perfekten Dinner ließ sich wieder mal hervorragend nachweisen, dass so genannte „Grillprofis“ ziemlich unerträgliche Menschen sind. Andererseits wird unser Blick während der stagnierenden Flüchtlingsdebatte auf die wirklich brennende Frage unserer Zeit gelenkt: Wann wird Sportgrillen endlich zur olympischen Disziplin?

15.09.15

13.30 Uhr, Haltestelle Halensee. Ein lesbisches Rucksackpäärchen erklärt dem mütterlichen Anhang (Besuch!), wo man gelandet wäre wenn man den falschen Bus genommen hätte. So kriegt man auch den Tag rum. Das rustikale Mädchen mit der Hipsterbrille (Tip: Fleischfachverkäuferin) lässt frisurtechnisch die Achtziger wieder aufleben und ist dafür wohl aus einem Staubsauerrohr hervorexplodiert. Kann am Adenauer den Donuts widerstehen, aber falle auf den Lockruf von McDonalds rein. Aktuell verspeist die Katze meine Pommes. Ich versöhne mich nach dem Sudsommer langsam wieder mit der Stadt.

19.09.15

Samstagmittag, 11.30h vorm LIDL am Kleistpark. Hier hat sich ein Geiger positioniert, der sein Instrument auf so unsägliche Weise peinigt, als habe er die Handhabung im Ladeninneren studiert. Deswegen und in Anbetracht seines erlauchten Zielpublikums ist mit Tageseinnahmen über 8 bis 9 Cent nicht zu rechnen – und das ist schon großzügig kalkuliert.

15.00 Uhr, Hauptstraße. Der Fahrradbote, der vor dem nachbarlichen Salafistengrill mampfend Kette raucht, nötigt mir einigen Respekt ab, bedenkt man den Raubbau an berufsnotwendigen Organen und die dazu im Gegensatz stehende Dienstbereitschaft. Alle Achtung.

22.09.15

13.30h Kudamm. Fall für die Modepolizei – die kleine Dralle hat ihren wuchtigen Schenkel mit diversen Psalmen beschriftet während ihren rechten Arm ein Cupcake und das Inventar einer gut sortierten Eisdiele zieren. Schön ist was anderes. Beim David Beckham-Plakat festgestellt, dass ihm das Alter nicht wirklich gut tut und sein angestrengter Versuch, intelligent zu gucken, zu Visagenstarre führt. Steige um auf M’Barek, der lacht wenigstens immer. In der U-Bahn dann der normale Supergau: Ein Dutzend Freisprechanlagennutzer, zwei Dönerverzehrer und ein Straßenmusikant, dessen Darbietungen tatsächlich ins Unterirdische gehören. Wohl um von seinem Gejammer abzulenken grölt er zusammenhanglos: „Danke, Germany! Refugees welcome! Thank you, Merkel!“ Blöd nur, dass weder Merkel noch Flüchtlinge zugegen sind. Kein brandender Beifall. Zaghaftes Aufatmen allenthalben, als er den Wagen räumt. Das war’s dann, Tag, Du bist gelaufen.

23.09.15

STIMMT ES EIGENTLICH, DASS sich Mallorca-Auswanderer einer ganz speziellen Arschlochprüfung unterwerfen müssen? Stimmt! Diese beinhaltet u.A. Disziplinen wie stundenlanges stumpfes Sonnenuntergangsanglotzen, bräsiges Herumhocken und Spanischsprengsel in die unschuldige Landschaft würfeln oder auch das gebetsmühlenartige Wiederholen ekelhafter Litaneien wie „Hier ist ja alles tranquilo“ oder „Ich hab mich in die Insel verliebt“. Zudem muss man einen Alkoholeignungstest bestehen und das Klugscheißerdiplom vorweisen. Und dann, nur dann, ist man ein geeignetes Mallorca-Arschloch!

24.09.15

STIMMT ES EIGENTLICH, DASS auch für die Einstellung bei TV-Redaktionen Arschlochtests durchlaufen werden müssen? Nein, das stimmt nicht. Um bei Redaktionen unterzukommen, muss man die Versagerprüfung absolvieren. Da wird dann festgestellt, ob man genügend geistigen Dünnpfiff produziert und Zynismus in der Hose hat (anstelle von Geschlechtsorganen oder so) um dem Brainstorming und Ideenbowling einer durchschnittlichen TV-Redaktion standzuhalten. Nur nachgewiesene Versager haben Aussicht auf eine vielversprechende Karriere. Schneidet man jedoch als „Verlierer“ ab, bleibt einem immer noch der Schritt VOR die Kamera. Dann darf man in den von den Versagern erdachten Formaten („Verklag misch doch!“, „Köln 4711“, „Berlin Gute Nacht“) sein Laienpotential bemühen und sich das Restmus schnappatmend aus der Murmel melken lassen. Es gibt immer eine Etage tiefer.

STIMMT ES EIGENTLICH, DASS wer Nichts wird, Wirt wird? Nein, das stimmt nicht. Angesichts der Veränderungen in der Dienstleistung werden von einem Wirt gastronomische Grundlagen erwartet. Es gibt allerdings viele Berufe, für die es geradezu schädlich wäre, irgendwas gelernt zu haben, geschweige denn ein Talent zu besitzen. Hier eine magere Auswahl – für die mit * versehenen Berufsgruppen sind Analphabetismus, reichhaltiges Vorstrafenregister oder Vergangenheit im Horzizontalgewerbe von Vorteil: TV-Moderator, Stand-up-Comedian, Jurymitglied in Castingshows, Castingshowteilnehmer*, Reality-Soap-Darsteller, Aufsichtsratsmitglied bei großen Automobilherstellern und Geldinstituten, MdB (Hinterbank), Society-Experte, Spielerfrau*, Werbeikone*, Oktoberfestluder (kotzfest), TV-DarstellerIn (ÖR, Primetime, Pichler), Model*, XXL-Model (und somit ErnährungsspezialistIn), Tüftler, Theologe, Astrologe*, Esotheriker*, Hellseher*, Promi, Promi-Spross*, Blogger, Youtube-Channel-Betreiber, Heilpraktiker, Homöopath, Eurhytmist, Eventmanager, PR-Berater… (Fortsetzung folgt)

26.09.15

STIMMT ES EIGENTLICH, DASS für bestimmte Leitungsposten im medialen Bereich Gehirnamputationen vorgenommen werden? Ja, das stimmt. Das Verfahren gibt es seit Erfindung des Fernsehens. Zu Großvaters Zeiten des Pantoffelkinos nannte man den Prozess scherzhaft „Hausputz“ oder „Kehraus“, seit der Einführung der Privaten wurde er verbilligt und rationalisiert. Seitdem spricht man in der Fachwelt, in Anlehnung an den ersten RTL+-Intendanten, von „Thomatisieren“. Hierbei wird die Hirnmasse, so vorhanden, entnommen, püriert und dann für das Aufweichen von zwei Semmeln genutzt, die anschließend in den Hohlkopf wieder eingesetzt werden. Dieses Procedere ist verpflichtend für Programmplaner, Unterhaltungsredakteure und freut sich auch in den Nachrichtenredaktionen zunehmender Beliebtheit.

Zitat des Tages: „Ich lasse mich als Vorbild nicht missbrauchen.“

04.10.15

Heute bei RTL-Exklusiv reingezappt: Bericht von der Wies’n, wo wohl auch ein Kiffer-Zelt steht, das ganz gegensätzlich zu seinem Titel Prominenten Zuflucht bieten soll, und dann die erschreckende Erkenntnis – in dem bayerischen Dorf gibt es nicht nur gruselige Seehofers, Söders und sonstige Alkoholleichen, sondern waschechte Zombies, die hintenrum Siegel oder vornerum Sandra oder mittendrin Effe heißen und die nicht mal FSK 18 zugelassen sind. Horror hat einen Namen: Oktoberfest.

07.10.15

Besonders apart und schneidend klug die Aussage des Pegida-Sachsen: „Demnächst haben wir auf unserer Fahne den Abendmond!“ Ja, ganz genau. Oder noch schlimmer: Den Morgenmond! Ganz zu schweigen vom Mittagmond!

09.10.15

Gestern in der U-Bahn, Mehringdamm, die neue Pestilenz: Ohrstöpsel. Klassenübergreifend hängt jeder Dödel unterdes am Smartphone. Der rosa Riese hinter mir lauscht höchstwahrscheinlich seinen Cholesterinwerten, die ordinäre Rothaarige streitet sich mit ihrem Stecher, indem sie in einen ihrer Stöpsel grölt, dieweil der omnipotente Redneck, der vor lauter Testosteron gleich eine ganze Sitzreihe einnimmt, sich die Stöpsel mit seiner ihn anhimmelnden Ische teilt und sie verzückt elysisches Nazistampfen goutieren. Überall Stöpsel. Bin ich der einzige, den das Bedürfnis beschleicht, die dazugehörigen Kabel zum Würgen zu verwenden?

10.10.15

Zufällig beim Zappen erspannt: In ihrer Finalshow hat die weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindende Pupsstars-Staffel (RTL II) vier völlig talentfreie Mädchen (Schreihälse) unter dem sinnigen Namen „Leandah“ als Girlband in die sichere Arbeitslosigkeit geschickt. Positiv zu vermerken ist aber, dass sie in den nächsten Monaten höchstwahrscheinlich weder U-Haftzellen noch Rotlichtzeilen frequentieren werden. Eine Zeit weg von der Straße – das ist doch auch schon was.

13.10.15

14.00 Uhr, Adenauerplatz. Proper diätende Föhnhauben drücken sich drucksend ums Dunkin‘ Donuts. Die aus dem Bus steigende Dame trägt einen imposanten Vollbart, der sich leider als optische Täuschung entpuppt: Doch nur ein Schlagschatten des beeindruckenden Doppelkinns. Ein Tabu weniger: Der reife Herr von Heute steht zu seinen Schönheits-Op’s! Man möchte sich sofort in den weizenblonden Matten der welken Jünglinge einnisten, „Ein Bett im Kornfeld“ klampfen und in Mokassins wichsen. Westberlin bei Regen. Das Leben ist trotzdem schön.

15.10.15

Alex, 17.30 Uhr. Die Schlacht der Schirmherren und -Damen kann kein Lager für sich entscheiden. Farbtrend des Herbstes: Durchgehend trostlos. Formschön quadratisch, praktisch, gut. Als Regenüberwurf sind Familienzelte groß im Kommen. Stoische Rentnermonolithen versperren in Allianz mit überproportional geratenen Kinderwagen die Ausgänge der Tram. Der rechtzeitige Absprung wird zum unkalkulierbaren Risiko. Ich liebe die Menschen, sie geben mir soviel.

17.10.15

Spruch des Tages: „Ich bin eine harte Schale mit weichen Scheiben.“ Oha.

19.10.15

Gelten ältere homosexuelle Herren, die sich am Tresen wie pubertierende Chorknaben necken, eigentlich als drollig, dement oder sozial auffällig?

03.11.15

Manchmal gibt es ja diese Momente, da zweifelt man an seiner Homosexualität. Und dann erscheint in der Glotze Carmen Geiss, und alle Fragen sind erledigt.

Ein volles halbes Jahr

•November 3, 2015 • Kommentar verfassen

12.09.

141. Dreimal darfst Du raten, wer heute zuhause bleibt. Und als besonderen Anreiz dafür versendet RTL2 einen diffusen Actioner namens Independent Daysaster, der sich mit wenig Mitteln, bescheidenem Personal und dem Verzicht auf Talent und Phantasie enorm viel vorgenommen hat. Ich verrate nur soviel: Die Welt geht mal wieder unter. Ach, täte sie das bloß.

13.09.

142. Es finden soviele Realitäten statt. Sie passieren. Die unsrige wird bisweilen als Gestern gewertet. Obwohl ich immer noch in ihr existiere. Wohl immer in ihr leben werde. Wie soll ich Dich spüren, jetzt, da Du schon beinahe 5 Monate tot bist? Tot. Ich bilde mir ein, nun – allein in unserem Raum -, dass Du bei mir bist, dass ich nicht alleine bin. Dass meine Liebe nicht ziellos versiegt.

14.09.

Nacht 143. Ich wundere mich gerade. Es hat uns doch an nichts gefehlt. Wir waren doch glücklich. Oder hätten es sein können. Dauerhaft. Das war doch alles nicht gelogen, oder? Wir hatten so unendlich viel. Wie schade. Wie traurig und schade.

15.09.

Nacht 144. Jaaaa, ich weiß…. Du findest mich entsetzlich sentimental. Aber darf ich erwähnen, wie sehr Du mir fehlst? Das sollte Dein Ego doch einigermaßen streicheln. Du, mein Großer. Die Nacht verfliegt ohne Dich. Die Zeit ist nicht vorhanden.

144. Ich trink jetzt auf Dein Wohl ne Erdbeermilch.

16.09.

145. Alle Welt sorgt sich. Als winziger Vorteil meiner momentanen Lebenshaltung entpuppt sich eine gewisse Gelassenheit. Könnte schonmal vorab in den Winterschlaf tauchen. Wird leider nicht subventioniert. Die Tage werden kürzer. Bald schon mäandern wir durch amorphe Regenzeiten. Heute noch ein kurzes Festival der Gehörgeschädigten. Langsam wachsen wieder Schaffenskräfte. Die Liebe wird nicht alt.

17.09.

146. Der „schmierige kleine Italiener“ hier im Haus hat sich in sein Herkunftsland Jordanien abgesetzt und das Feld einigen Arabern überlassen, die dort nun Pizza und Pasta verkaufen. In Anbetracht der Erfahrungen mit dem Vorbesitzer erspare ich mir die Qualitätsprobe.

18.09.

21 Wochen. Immer neue Erkenntnisschübe lassen keine echte Ruhe aufkommen. Aber ich bin es ja selbst, der keine Ruhe gibt. Doch langsam aber sicher muss ich es gut sein lassen, das sehe ich ja selbst ein. Den Schorf nicht wieder und wieder aufkratzen. Leben, wie auch immer das aussehen mag. Vortasten aus dieser Zwischenexistenz. Es wird schon gelingen, irgendwie.

19.09.

148. Schaue mir gerade in Vorbereitung von „Age of Ultron“ nochmal Marvel’s Avengers an und stelle wieder fest, dass das Werk eher stagnativ ist. Vor allem: Wenn unsere Erde ein so niederwertiges verwurmtes Vorkommnis ist, warum hat es dann wirklich JEDER Ausserirdische auf sie abgesehen? Mit Dir war Trash eindeutig unterhaltsamer.

21.09.

150. Ein Wochenende der Ups & Downs. Meine Telefonallergie wird langsam manisch. Alles sträubt sich, über Distanz zu kommunizieren. Da bieten sich eher SMS und E-Mail an. Die stetigen Versuche anderer Kontaktaufnahme empfinde ich langsam als Grenzüberschreitung. Dialogterrorismus. Mildes Nachglühen des Sommers. Ich konnte weinen. Das hat ein bisschen was befreit.
22.09.
151. Ganz guter Tag ist das gewesen, unaufgeregt. Habe mir nach der Therapie lukullische Extravaganzen bei McDonalds gegönnt. Dachte daran, wie ich Dich früher stets mit mehreren Batterien an Fast-Food beglückte. Hast Du sehr gerne in Dich geschaufelt und natürlich kein Gramm zugelegt. Nun ja, in Deinem Alter… da trat die Schwerkraft noch nicht ihren Siegeszug an.
23.09.
152. Kranksein an sich ist ja schon kein besonderes Highlight. Aber wenn man alleine ist, nicht mit Hühnebrühe bemuttert wird, Tee ans Bett geliefert bekommt, dann ist es erst recht Scheiße. Von daher werde ich die Erkältung so weit es eben geht ignorieren.
Abend 152. Heute kam die Zusage für das Drehbuch. Du wärst sehr stolz, und wir würden feiern. Die Fete fällt ohnehin ins Wasser. Außer Röcheln ist nichts mehr aus mir hervorzulocken. Aber ich freue mich. Und ich weiß, dass Du meine Freude begleitest.
24.09.
153. Nach wie vor völlig verrotzt. Fiebrig, gliederreißig, selbstmitleidig. Darf ich ja auch alles sein, gehe niemandem auf die Nerven. Kranksein ist ja an sich schon Scheisse. Stelle allerdings mehr und mehr fest, dass wir selbst daraus immer ein schönes Ritual strickten. Alleinsein macht einfach keinen Spaß.
25.09.
22 Wochen. Wenn sich der Ausnahmezustand in Alltag verwandelt, der Verlust in Verlorenheit, der Schock Teil des Bewusstseins wird, spätestens dann begreift man, dass sich das Leben für immer im Wesen verändert hat. Und dass die eigene Persönlichkeit, das Verhalten, die Angewohnheiten sich dem nach und nach angleichen werden. Man wird Zeuge der eigenen Metamorphose. Wir sind zusammen gewachsen, das kann sich nicht mehr trennen. Es wird anders. Die Zeit ist keine Zeit.
26.09.
155. Suche nach dem Frieden, den Du mir hinterlassen hast.
27.09.
156. Ich sage Deinen Namen. Wie eine Litanei. „Marcel, Marcel, Marcel.“ Ich schreibe ihn auf. Schreibe, bis mir vor Erschöpfung der Stift aus der Hand fällt. „Marcel, Marcel, Marcel.“ Ich weiß nicht, ob das Sinn macht. Aber es erhält Dich. Darf nur nicht anfangen, Dich zu konservieren.
28.09.
157. Diese Aufs und Abs gehen mir mächtig auf den Zeiger. Ein bleibender Gemütszustand wäre mir angenehmer. Bin momentan schwer genießbar. Die Tage gehen okay. Da hat sich ja nicht so sehr viel geändert. Die Nächte sind momentan kriselnd. Und sie werden länger.
29.09.
158. Verlorener Dienstag. Geht gar nicht so schlecht, aber der Tag geriet in Vergessenheit. Heute bleibe ich bei mir. Du kannst mich gerne besuchen, wenn Du willst.
30.09.
159. Heute haben wir das Büro entrümpelt und wieder ein paar Kleidersäcke befüllt. Es gibt erfreulicheres. Vieles taucht wieder auf, einiges erwacht. Eine surrale, gläserne Zeit.
01.10.
160. Die Sonne strahlt, der Herbst glänzt. Ich vermisse Dich sehr.
02.10.
23 Wochen. Jetzt wird der Herbst deutlich. Nachts das große Schlottern. Heute zum ersten Mal wieder geheizt. Ich verbringe den Abend mit mir. Ich denke viel und intensiv an Dich, mein ewiger Geliebter, mein bester Freund. Du wirst nie vergessen.
04.10.
163. An Tagen wie diesen sollten Menschen, die in Lebensphasen wie ich stecken, Filme meiden, die darauf abzielen, dass man kitschtechnisch nah am Wasser gebaut hat.
05.10.
164. Wie war das mit dem Kelch der Worte? Ausgeschüttet.
06.10.
165. Höllentouren durch die Stadt, deren Eingeborene augenscheinlich mit dem Herbst überfordert sind. In der Wohnung ist es zu still. Nicht nur das Lachen fehlt – auch der Zoff; ich hätte nie gedacht, dass ich auch den mal vermissen würde.
07.10.
166. Diese Achterbahnfahrten überfordern mich deutlich. Sie heben den Magen. Ich sehne mich nach einer Konstanten. Aber wie stellt man sowas her? Ich habe einfach kein Konzept ohne Dich vorbereitet.
08.10.
167. Heute erste ausgedehnte Produktionsbesprechung CENTRALIA. Auch ein paar neue Ideen gepitcht. Du wärst so stolz. Laufe zu alten Formen auf. Eine Schande, dass Du nicht dabeisein kannst. Wie sehr könnte ich Deinen Rat, Deine Kritik, Deine Mitarbeit und Deinen Output gebrauchen. Ich versuche, das alles mit zu bedenken. Du Mephisto in meinem Ohr.
09.10.
24 Wochen. Ich verwechsle langsam die Höhe- mit den Tiefpunkten, so rasch lösen sie sich ab. Oder sind sie ein und dasselbe? Gerade bin ich eine echte Belastung für meine Mitmenschen. Selbst wenn ich alleine zuhause bleibe, gebe ich Anlass zur Sorge. Ich bemühe mich, zuversichtlich zu sein, aber ich weiß auch, dass die Freude Zeit braucht. Wie fühlt sich das nochmal an? „Unbelastet“. Offen gestanden weiß ich gar nicht mehr, wie das geht, so ganz ohne Dich.
10.10.
169. Ich will nicht mehr kriseln. Das kostet soviel Energie. Und es bringt Dich nicht zurück.
11.10.
170. Ein fauler Sonntag, mein Kleines. Die Katzen dämmern – Libre liegt sogar im Tiefschlaf. Luftholen für die nächste Woche. Die wird gut werden.
12.10.
172. Irgendwie kommt der Winterschlaf dieses Jahr sehr früh. Ich bin ständig müde. Nur nachts fällt das Schlafen schwer. Es gibt Dinge, die ändern sich scheinbar nie. Heute gehe ich in eine Lesung. Das ist nicht Dein Ding. Das anschließende Lästern entfällt entsprechend. Wer weiß, vielleicht wird es mir ja gefallen? Ich berichte Dir.
13.10.
173. Heute war ich bei Heidrun. Hat mir auf seltsame Weise weitergeholfen. Jammerstunde. Jetzt bringt mich zur Abwechslung wieder mal der Rücken um. Ich küsse Dich zur Nacht.
14.10.
174. Ein gelber Tag. Ganz merkwürdiges Licht. Ich schreibe wieder.
16.10.
25 Wochen. Gestern Nacht saß ich in der Küche und sprach mit Dir. Laut und, zugegeben, etwas deppert. Ich auf meinem Platz, Du mir gegenüber, wie sonst auch, wenn wir im Schutz der Dunkelheit zur Vernunft fanden. Du warst so präsent – mag sein, als Illusion. Aber ich hatte das Gefühl, nicht ins Leere zu reden. Du warst da, ganz nah. Das war eine schöne Stunde. Ich habe Dir ja versprochen, ich werde nicht mehr sentimantal sein oder mich in den Fleischwolf der Selbstzerstörung begeben. Ich pauke leben. Du, die Erinnerung an Dich und uns – das sind meine Lehrer.
17.10.
176. Sämiger Samstag. Nicht etwa traurig, depressiv, schwermütig. Eine lauwarme, nicht übel schmeckende Soße… Gottchen, jetzt lande ich langsam aber sicher in der Küchenmetaphern-Fraktion. Hinzu kommend Rückenbeschwerden und die ganz alltäglichen Hausfrauenleiden… Okay, ch sehe schon, es wird echt allerhöchste Eisenbahn, einige Dinge grundlegend zu verändern.
18.10.
177. Gestern habe ich mich beim Glotzen des Frauenmagazins ML (Mona Lisa) auf ZDF erwischt. Gruselig. Ich ziehe jetzt echt die Notbremse, sonst verkomme ich endgültig zur tatterigen Witwe. Okay, mit Boxen und Formel 1 wird das nix mehr in diesem Leben. Wresting finde ich auch Scheiße und meine Meinung zu Fußball kennst Du ja. Man muss aber auch nicht gleich von einem Extrem ins Andere wechseln.
19.10.
178. Komatöse Zeiten. Sätze senken sich langsam wie Nebel. In Kulturzeit läuft irgendwas über die Dekonstruktion des Ich, dem eine Performancekünstlerin wohl ihre munteren Aspekte abgewinnt. Auch nicht schlecht.
21.10.
180. Mal zwei Tage pausiert, den Kopf völlig ausgeschaltet und versuche nun den Reboot. Gewisse Dinge gelingen tatsächlich bisweilen, wenn man nur fest genug daran glaubt.
22.10.
181. Angenehm kühl und knallbunt. Ausgeschlafen. Ziellos munter. Hat was.
23.10.
Ein halbes Jahr. Was soll ich sagen? Ich verbringe den Tag mit Dir allein. Ich bin dankbar, dass mich ein Mensch wie Du so sehr geliebt hat, dass ich eine „wahre Liebe“ erleben durfte, dass Du meine „bessere Hälfte“ bleibst. Das füllt mich den Rest meines Lebens aus.

Die nächsten vier Wochen danach.

•September 18, 2015 • Kommentar verfassen

15.08.

113. Die Wettervorhersage bestätigt alle gängigen Verschwörungstheorien. Sturm und Frische waren angesagt, dann wurde der Ofen extra befeuert und das Resthirn ist verdunstet. Alle Emotionen auf klaglose Hinnahme reduziert.

16.08.

114. Es ist sonderbar, wenn der Adressat der Worte „Ich liebe Dich“ verloren gegangen ist. Weg, endgültig. Ich schicke den Satz in die Leere. Überrascht, dass er immer noch Automatismus meiner Wirklichkeit bedeutet. Ich weiß nicht einmal mehr, was das meint, wie sich das anfühlt – wenn eine Antwort kommt.

17.08.

115. Der Tag war geprägt von erfrischender Ereignislosigkeit und munterer Lethargie. Ich denke, der Mördersommer und seine Vorgeschichte haben bleibende Spuren hinterlassen. Meine rare Freizeit verbringe ich mit dem Therapieren von Plüschtieren in Dr. Kindermanns psychiatrischer Anstalt für geschädigtes Stoffviehzeug. Ich weiche meist erfolgreich tiefer schürfenden Gedankengängen aus. Besser is auch.

19.08.

117. Gestern war Nonette da – und wir haben einen potentiellen Dritten Mann für Skat ausgemacht. Hier in der Wohnung herrscht arbeitsreiches Chaos. Einzug. Leben tut gut. Ich habe heute Libres Bettverbot aufgehoben. Er ist zärtlichkeitsbedürftig, weil der Dicke ihm immer auf die Fresse gibt. Seit einigen Nächten wieder schlimme Träume. Das rädert. Wenn Du – rein energetisch, so über Ommm oder Wallawalla oder jenseitige Fürbitte – was dagegen unternehmen könntest – das wäre ein feiner Zug. Und in feinen Zügen bist Du doch eigentlich meisterlich. Wenn Du nur willst.

20.08.

118. Gestern ein Tag in Klausur. Heute hat Hanuta wieder die Bude auf Vordermann gebracht. In der Spülmaschine stand das Brackwasser. Ich hätte besser aufpassen müssen, wenn Du die Küchenautomaten von ihren Wehwehchen befreitest. Ich brauche bei allem Hilfestellung, außer beim Schreiben. Die Dinge gehen langsam, aber voran. In den letzten Tagen muss ich mich doch einigermaßen zusammenreißen. Das kann ich ganz gut, denke ich. Besser, als loslassen.

21.08.

17 Wochen. Es ist einfach absolut Scheisse ohne Dich. Klar, „es lässt sich aushalten“, „einigermaßen“… aber ist das der Sinn der Sache? Ich denke oft an unsere Ziele, die wir zuletzt mehr und mehr aus den Augen verloren. Aber waren wir nicht schon größtenteils angekommen? Ein gemeinsames Leben, Perspektive… Oder war genau das das Problem? Der fehlende Anreiz, der vermeintliche Schlusspunkt. Ich werde nicht müde zu fragen, obwohl es nie eine Antwort geben wird. Ich frage und frage. Diese Fragen erhalten mich.

22.08.

120. Gedanken. Viele. Ich kann sie jetzt weiter verfolgen. Falle nicht in Grübelgruben. Das Ende Deines Lebens war ebenso mein Ende – unseres. Ich bin in einem Alter, in dem man nicht täglich den Neuanfang probt. Unsere Existenzen waren aufeinander ausgerichtet, auf das Ziel, gemeinsam alt zu werden. Das ist nun obsolet. Nach vier Monaten kehren Kräfte zurück, und ich kann mich einigermaßen den Tatsachen stellen. Das neue Ziel zu entdecken, die Pfelrichtung auszutarieren, das ist nun meine Mammutaufgabe. Dich ganz loslassen – das kann ich wohl nie.

23.08.

121. Heute nimmt der Kopf sich frei und das Herz eine Auszeit.

24.08.

122. Während das Außenklima an Erträglichkeit gewinnt nimmt das innere eine gegenteilige Entwicklung. Die Klausur tut nur bedingt gut. Es geht noch nicht einmal so sehr darum, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Es ist vielmehr das Gefühl von Leben, das um mich herum passiert. Nicht, dass es ablenkt. Eine Verschiebung der Aufmerksamkeit.

25.08.

123. Die Temperatur ist gesunken, der Swing ist zum Blues umgekippt. Ich habe so Angst ohne Dich, Marcel, ich habe so fürchterliche Angst.

27.08.

125. Lexi war hier. Es war schön. Wir haben nicht über Dich gesprochen. Nicht dass wir uns bemühten, das Thema zu umgehen. Es drängte sich einfach nicht auf. Du warst ohnehin dabei. Du begleitest mich jederzeit. Und in den Momenten, in denen ich nicht leide, in denen mich mein Heimweh nach Dir nicht ertränkt – in diesen Momenten ahne ich, dass etwas von uns übrig ist. Ein langer Weg herauszufinden, was genau das ist.

28.08.

18 Wochen. Ich schreie, kotze, will nur weg aus diesem Körper, diesem Leben, aber kein Weg führt zu Dir. Ich habe Dich verloren. An Tagen wie diesem ist das übermächtig.

29.08.

127. Die Sicherheit, diese Ur-Sicherheit, dass wir alles zusammen schaffen können, dass wir zusammenbleiben, egal was kommt – die fehlt mir schon sehr.

30.08.

128. Irgendwann wird es leichter sein. Daran halte ich mich fest. Es nehmen, wie es kommt. Das ist wirklich eine ziemliche Hausarbeit.

31.08.

129. Heute war wieder mal der „letzte heiße Tag des Jahres“. Mit Karacho. Gnädige Rückenschmerzen lassen die Glut vergessen. Ich verwandle mich langsam in eine Großbaustelle. Du warst für die Reparaturarbeiten zuständig. Einen Ersatz gibt es nicht.

01.09.

130. Du bist und bleibst das Beste an mir. Das vergesse ich nie.

02.09.

131. Überdosis Realität. Man fällt immer wieder ungefedert auf den Steiß. Ich muss mir eindeutig noch mehr Fett anfressen. Für nächste Woche habe ich mir einiges vorgenommen. Ist ja ein „Neujahr“, irgendwie. Aber Du weißt ja, wie das mit den guten Vorsätzen so ist. Ich werde mich, wie in allem, bemühen. Einigermaßen.

03.09.

132. Du weißt, was heute für ein Tag ist. Mach Dir keine Sorgen, ich bringe ihn menschlich hinter mich. Und morgen pausiere ich mal in Duldungsstarre. Jeder Gedanke gehört Dir.

04.09.

19 Wochen. Der gestrige Geburtstag war nicht leicht. Unsere Freunde haben mir geholfen. Momentan wiegt die Zeit zentnerschwer. Alles ist wie stromaufwärts schwimmen. Ich wäre gerne mutiger. Kräftiger. Aber ich gebe alles, was ich kann. Für mich alleine sollte das reichen.

05.09.

134. Das äußere Klima hat sich endlich dem inneren angepasst. Es ist kühl und regnerisch. Sehr still in diesen Tagen. Habe mich selbst dabei ertappt, wie ich, als ich aus der Dusche kam, darum bemüht war, möglichst wenig Geräusche zu machen. Als würdest Du nebenan schlafen. Und, noch blöder: Als hätte Dich Krach dabei jemals geweckt! Ich muss wieder für etwas mehr Unruhe in der Wohnung sorgen, ehe sie zum Mausoleum erstarrt.

06.09.

135. Fauler Sonntag. Lasse mich von Behinderten-TV auf RTL narkotisieren und frage mich, was eine „Ganzheitskosmetikerin“ um Himmelswillen macht? Zusammen waren diese Nachmittage ein echtes Erlebnis. Ich synchronisiere mir Deine Anmerkungen hinzu. Diese Stunden will ich alleine sein und mit niemandem reden. Diese Stunden gehören ganz uns.

08.09.

137. Vollkrise hat mich zwischenzeitlich aus der Bahn geworfen. Habe mich wieder im Griff.

09.09.

138. Schrittchenweise arbeite ich mich aus dem Tal nach oben. Das war eine sehr nachhaltige Nachtwanderung. Sehr nah am Wasser gebaut. H2O fördert nicht die Kommunikation, da bleibe ich gleich zuhaus. Muss ja nicht den Zumutungen der Umwelt die eignen entgegensetzen. Der Glaube an ein Morgen bleibt. Terroroptimismus.

11.09.

20 Wochen. Heute war ich meine Herbst- Winterkollektion in einer Outlet-Mall vor den Toren Berlins erstehen. Entenhausen mal anders. Besonders beeindruckend: Das Bademantel-Oregamie der Möwe-Fachkraft. Bin völlig niedergewalzt. Könnte sofort einschlafen. Es regnet sympathisch. Die letzte Woche war schwierig. Habe sie dennoch geschafft. Irgendwie geht’s dann doch.

Weitere vier Wochen

•August 19, 2015 • Kommentar verfassen

19. Juli

Nacht 86. Heute war ich ein Grillhähnchen. Zu diesen klebigen Temperaturen waren wir stets auf Distanz, darauf bedacht, einander nicht Heizkörper zu sein. Aber wir halten uns bei den Händen. Bis Du eingeschlafen bist, mir Deine Rückansicht präsentierst und mich entweder per Schnarchen oder aggressivem Einsatz Deiner Ellbogen wachhältst. Bisweílen wachst Du auf, glotzt mich mit Riesenaugen an und stellst eine völlig verblödete Frage. Ich sage „Ja, Du hast Recht, leg Dich wieder hin“, Du verharrst eine Sekunde, starren Blicks, nickst und fällst wieder in Ohnmacht. Ich sreiche durch Dein Haar, gebe Dir einen vorsichtigen Kuss, Du murrst, murmelst „liebe Dich“ und schläfst. Ich döse lächelnd ein. Nacht für Nacht. Wiege mich in der Sicherheit, dass uns jenseits aller Schwierigkeiten des Alltags etwas Tiefes, Wunderbares verbindet. Das tut es noch. Das wird es immer.

20. Juli

87. Gestern war ich auf einem Konzert von Ulla. „Wenn zwei zueinander passen…“. Der Abend war kühl, die Gedanken und Erinnerungen warm und weich. Du warst sehr dabei. In den letzten Nächten bist Du gnädig gewesen. Keine Heimsuchungen. Ich habe Dich zum ersten Mal tot geträumt. Allerdings wurde ich im selben Traum von zwei Käseverkäuferinnen im KaDeWe sexuell belästigt, von daher würde ich ihm keine tief symbolische Bedeutung zuordnen. Ich habe einen Wäschetrockner bestellt – Feuchtraumphantasie einer jeden Hausfrau. Mit zunehmendem Alter verändern sich die Gelüste deutlich. Es wird, mein Engel. Es wird.

21. Juli

Nacht 88. Manchmal führst Du einen Tanz auf, mit irrem Lächeln, vornehmlich in einer Deiner geliebten zerrissenen Unterhosen. Die Karrikatur eines Ziegfeld-Girls. Lustvoll wahnsinnig. Oder ich starte Kitzelattacken, weil ich Dein Lachen sehen will. Du schreist wie ein geschächtetes Lamm und wehrst Dich, bis ich die Waffen strecke. Erschöpft sinke ich in Deine Arme, aber ich kann es nicht auf sich beruhen lassen, fahre mit meinen Fingern sanft über Stellen, die Dir die Haare zu Berge stehen lassen und Dich wieder zum Lachen zwingen. Du kämpfst zunächst dagegen, drückst den Reiz runter, aber spätestens nach dem dritten Durchgang brüllst Du. Es folgt ein kurzer Kampf, dann werden wir endlich einigermaßen müde. Die Glotze läuft, scheißegal was. Wir verkriechen uns ineinander. Ich fasse an Deine Wange, grabe mich neben Dir ein, schlüpfe unter Deine Decke. Am liebsten möchte ich Dich jetzt fressen, oder mich wenigstens an Dich nähen lassen – die Vereinigung siamesischer Zwillinge. So schlafen wir ein, verknotet. Und in kalten Nächten lassen wir nicht voneinander ab. Ein vielgliederiges Monstrum. Verwoben.

88. Der Sommer fördert wirklich die grausamsten Seiten des Menschen zutage. Und sein Durchschnittsaroma ist auch nicht von schlechten Eltern. In der U-Bahnsauna sitzt ein ziemlich unappetitlicher Greis neben mir, der mit Fresse plus Rüssel schlürfend in seinem Döner gründelt. Da trifft gestrenger Harn auf Zwiebelduft – ein Genuss der dritten Art. Modisch scheint für die rustikale Dame der Matrosenlook up to date zu sein, während sich drahtigere Geschlechtsgenossinnen gerne in Muscleshirts pellen, was ihnen einen deutlich lesbischen Anstrich verpasst. Ganze Heerscharen kampfesbereiter Ripleys auf der Suche nach entfesselten Aliens säumen die dampfenden Straßen. Ich war bei Heidrun. Wir verwandeln die Therapie von einst in eine Art Zukunftscoaching. Mal sehen. Es geht ja weiter. Ob mit oder ohne uns. Die Maschine rattert immerfort. Ohne Dich macht es viel weniger Spaß. Aber es ist sicher schön. Ich warte, bis ich die Schönheit wieder erkenne. Die Welt durch Deine Augen sehe. Und ihr verzeihen, für uns.

22. Juli

Nacht 89. Ich suche nach Dir, mein über alles Geliebter. Leider hast Du keine Leere hinterlassen. Ich bin überfüllt von Dir. Du wirst nicht vergessen, solange ich lebe. Ein so großer Teil bist Du von mir – größer, als ich je ahnte, wachsen zu können.

Tag 89. Morgen wärest Du 32 geworden. Die Renovierung schreitet voran. Bis nächste Woche sind die vorderen Zimmer fertig, dann bleibt nur noch das Büro. Es ist so vieles im Wandel, dabei hasse ich Veränderungen. Diese kann ich nicht entgehen. Ich muss sie Schritteweise vollziehen. Nur nicht wieder stürzen.

24. Juli

13 Wochen. Deine Geburtstagsfeier war schön. Es wurde viel gelacht, es flossen auch ein paar Tränen. Dieser Balanceakt die Dankbarkeit dafür dass es sich gab, nicht von der Traurigkeit auffressen zu lassen – der fällt nicht leicht.

25. Juli

92. Heute wurde der Boden Deines ehemaligen Büros abgeschleift. Ich habe nun definitiv eine Staublunge. Der Wäschtrockner läuft, die Katzen schlagen sich die Schädel ein – es tobt Leben in der Bude. Wenn es wieder mal zu still ist pflege ich meine Macke und monologiere laut mit Dir. Man wird sonderlich in alten Tagen. Schreibe gerade an Songtexten, ein schöner Auftrag. Kann klamauken wie ich mag. Dichte auf Dein Lachen.

26. Juli

93. Ein seltsam sämiger Tag in einer durch und durch seltsamen Phase. Die Veränderungen in der Wohnung nehmen Formen an. Dabei ist es keineswegs so, als würdest Du „ausgetrieben“. Ich habe vielmehr das Gefühl, dass der Anfangsgeist unserer Zeit hier langsam wieder einzieht. Die Zuversicht, der Aufbruch, das Leben. Ein bisschen was davon will ich nochmal abkriegen. Diesen warmen Frieden. Das wäre zu schön. Ich fühle mich Dir heute wieder so nahe. Ich kann Dich beinahe spüren.

27. Juli

93. Ein seltsam sämiger Tag in einer durch und durch seltsamen Phase. Die Veränderungen in der Wohnung nehmen Formen an. Dabei ist es keineswegs so, als würdest Du „ausgetrieben“. Ich habe vielmehr das Gefühl, dass der Anfangsgeist unserer Zeit hier langsam wieder einzieht. Die Zuversicht, der Aufbruch, das Leben. Ein bisschen was davon will ich nochmal abkriegen. Diesen warmen Frieden. Das wäre zu schön. Ich fühle mich Dir heute wieder so nahe. Ich kann Dich beinahe spüren.

28. Juli

95. Heute war ich wieder bei Heidrun. Ich nähre in mir die Illusion, es hilft. Nicht das Quatschen – mir ist ja meist eher weniger danach. Aber das Ausloten, wohin es gehen kann. Soll. Sich der Trauer zu stellen als Teil des Lebens. Meinen Platz darin zu finden. Alles wächst, verändert sich. Ich darf den Stillstand nicht zulassen, der wiegt schwer wie Blei. Zieht in schwarze Tiefen. Es gibt Perspektiven. Ich muss nur lange genug suchen, dann werde ich sie schon finden.

29. Juli

Nacht 96. Ich würde Dich so gerne bei mir haben. Dich spüren, riechen, schmecken. Wie gewohnt. Dieser Vorhang ist gefallen. Hilf mir, eine gute und einigermaßen lebenswerte Zukunft zu bauen. Bis ich in Deinen Armen ruhe.

96. Wir haben Paris gebucht. Vier Tage Ende Oktober. Da hatten wir unser letztes ungetrübt glückliches Wochende. War klar, dass meine erste Reise ohne Dich dahin gehen muss. Die schöne Erinnerung färbt sicher auf unsere Truppe ab. Wir sind übrigens wieder alle dabei – plus Karin und Frank, inklusive Dir in meinem Herzen. Jetzt wird weiter angestrichen. Wir nähern uns dem vorläufigen Ziel. Dann ergibt sich ein neues. Du bist mir wieder sehr nah in diesen Tagen. Das gibt mir Kraft. Danke Dir dafür.

30. Juli

97. Ich habe mir Apartments in Tel Aviv angesehen. Vielleicht fahren wir über Silvester hin. Allerdings bin ich etwas schwermütig und lustlos. Die Trauer kommt manchmal einfach über mich. Wie Regen. Aber es ist gut, dass mich die Erinnerung an Dich, an uns immer wieder einholt. Die Bodenhaftung nicht verlieren. Ich laufe nicht davon. Reisen, ein bisschen was sehen von der Welt. Schade, dass Du nicht mehr dabei bist. Das beschert mir gerade Gewitterwolken.

31. Juli

14 Wochen. Diese Freitage sind besondere Hürden. Ich bin mit den Songs beim Finale angelangt. Regelrecht abgedichtet. Beim Nudelkochen überkam mich, wie so oft in diesem schwierigen Sommer, die Frage, inwiefern das alles hier noch Sinn macht? Damit man eines Tages doch noch ersehnte Ausprüche tätigen kann wie „Dismissed“, „Geschüttelt, nicht grührt“ oder „Ich danke den Mitgliedern der Akademie“? Aber mal ehrlich, wer will das schon wissen?

01. August

Nacht 99. Ich brauche Deinen Rat. Normalerweise sprechen wir nebenbei darüber. Ich räume die Scheisse aus dem Katzenklo und parliere bedeutungslos. Ich blicke über die Schulter, nach meiner Frage, und ich schaue in Dein stoisches Gesicht, lese aus dem beinahe unmerklichen Zucken Deiner Brauen, dem Zusammenziehen Deiner Pupillen. Deine Stimme sagt „Mach doch“, aber Dein Körper sagt das Gegenteil. Ich werde auf Dich hören. Mag sein, ich habe das zu oft getan. Wer weiß?

02. August

Regierungen ziehen 100-Tagesbilanzen. Ich habe das gedanklich durchgespielt, aber mir gelingt nicht einmal ein Resummé der letzten 100 Minuten. Es geht, irgendwie. Nicht, weil es muss. Nichts muss. Es gibt gute Momente – wenn ich arbeite, wenn ich mit Freunden bin, oft auch allein, hier zuhause, wohin ich mich zurückziehe. Es gibt auch schlechte Stunden. Dann verliere ich mich in Gedanken, bin antriebslos. Aber das wird etwas weniger. Ich lerne, diese Talfahrten abzumildern. Es ist ruhiger geworden, stiller. Der Zauber ist weg. Dein Strahlen fehlt. 100 Tage sind keine Zeit.

03. August

101. Heute war es sehr heiß und ich sehr müde. Musste durch die Stadt und bewegte mich, wie alle anderen auch, in Zeitlupe. Dann auf dem Bett den Rest des Nachmittags verdampft. Ich bade in lauwarmer Schwermut. Keine Depression, wie letztes Mal. Ich gewinne da allmählich Kontrolle. „Spülbeckentrauer“. Alltägliche Handgriffe lösen wie Messerstiche Erinnerungen aus. Gerölllawinen. Ein Moment Totalstopp, dann durchatmen, den Motor neustarten und im Schneckentempo weitermachen. Nicht versinken einerseits, aber auch nichts übereilen, nicht hetzen. Dieser Seiltanz erfordert Konzentration. Man nimmt das Leben bewusster wahr als es einem lieb sein kann. Wenn ich Dein Bild betrachte, gibt mir das immer wieder Kraft. Ich bin so dankbar, dass es Dich gab.

04. August

102. Die Nacht hat mich wieder ein Traum heimgesucht, der war übelst. Ein Zustand der Lähmung beherrschte meinen Tag. Ich bin sehr, sehr traurig. In solchen Phasen gehen mir die Worte aus. Nicht böse sein, Geliebter. Heute mag ich nicht reden. Sorg Dich nicht. Ich schaffe das schon.

05. August

Nacht 103. Habe mir soeben ein verstörend ambitioniertes Machwerk angesehen, in dem es um eine Truppe Junkies und eine pillenkranke Mutti ging. Wenn man sich die Kante gibt… Jared Leto entschädigt für einiges. Aber den findest Du eh nicht so toll. Der Tag war ganz schön düster, die Nacht erlöst mich langsam. Ich bin müde und abgekämpft, dabei habe ich soviel gar nicht geleistet. Dieses Wenig ist oft viel anstrengender als das Viel. Ist die Maschine in Gang zu bringen – jene Übung hatte ich fast schon verlernt. Ich liebe Dich, Marcel. Noch stärker, tiefer und frischer als am ersten Tag. Du kannst anstellen, was Du willst. Meine Liebe kriegst Du nicht zerstört. Sie ist das einzig wirklich unkaputtbare an mir.

103. Wochenmitte. Die Hitze steigt. Die Kondition schwächelt deutlich. Die Renovierung ist fast abgeschlossen. Am Samstag Einzug. Das Ende der Schwermut dämmert, allerdings sind für das Wochenende 40° angesagt, also geht man aus anderen Gründen auf die Matte. Heute habe ich einige Aufnahmen von Deinem Handy gehört – Diktate von Dir, Memos, gemeinsame Gesänge. Es ist schön, Deine Stimme im Ohr zu haben.

06. August

104. Wenn ich Dich erinnere, dann habe ich nur zärtliche Gedanken. Ich wünschte, ich wäre zornig. In der Wut bin ich gut. Da kann ich Spitzen setzen, Pfeile schicken, Pointen schießen. Aber Du… Deine weiche Haut. Dein Lächeln. Deine sanften Schwüre. Unsere Pläne. Wenn Du bei Dir warst, dann warst Du der liebevollste, aufrichtigste und fröhlichste Mensch, den ich je getroffen habe. Erst in der Dunkelheit zählt das Licht. Ich vermisse Dich so, so sehr. Dein Finale war nicht das unsrige. Ich trage den Schmerz bis ich selbst irgendwann gehen muss. Dieser Schmerz ist das, was von Dir bleibt. Dieses Wenige, was mich aufrecht erhält. Dieses Wenige von dem „Alles“, was Du für mich bist.

07. August

15 Wochen. Keine Zeit. Ein Stein braucht 1000 Jahre, um angesichts des Tropfens zu erweichen. Was sollen diese paar Tage bewirken? Du bist präsenter denn je. Du begleitest mich. Es wird nicht einfacher – im Gegenteil. Die Erinnerung ist mein Schatten, meine Versäumnisse nicht mehr zu korrigieren. Der Kopf ist milde, das Herz diktiert und ist gnadenlos. Ich bin nicht des Lebens müde. So leicht mache ich es mir nicht – einfach ab und davon. Ich brauche immer ein Ziel, Du kennst mich. In Liebe.

08. August

106. Gestern kam ich dazu, unseren Schriftverkehr durchzugehen. E-Mails, FB-Messages, Apps. Wir waren die meiste Zeit unheimlich lieb miteinander. Das hatte ich schon fast vergessen. Tut gut, das wieder zu wissen.

09. August

Nacht 107. Wie soll das nur weitergehen ohne Dich? Wir haben doch aufeinander gebaut, über 15 Jahre unsere Leben zusammen ausgerichtet. Wir haben uns was versprochen, geschworen. Wie soll ich das Alleine jetzt bewältigen? Wie eine Normalität behaupten in einem Kosmos, in dem es kein „normal“ mehr gibt? Marcie, mein Marcie, Du hast mich gut gemacht. Was übrigbleibt – wer weiß das schon?

107. Heute war einer der besseren Tage. Dieter hat die Fenster gemacht. Ich habe einiges geschrieben. Die Sonne schrie, jede Bewegung war schweißtreibend. Also habe ich Bewegungen weitestgehend vermieden. Wäsche gemacht, Bett bezogen, gekocht – Alltägliches erledigt eben, das unterdes eine Besonderheit darstellt. Du bist allgegenwärtig. Das ist gut so.

10. August

108. Der Begriff der stehenden Hitze gewinnt völlig neue Bedeutung. Ich widerstehe der Versuchung, mich in den Gefrierschrank zu falten. Vorläufig.

11. August

109. Meinen Versuch, tiefere Bedeutung in den Geschehnissen zu finden, erkläre ich offiziell als beendet. Es gibt nichts, das erklären könnte, entschuldigen oder rechtfertigen. Ein bleischwerer Obelisk hat sich in unsere Existenzen gerammt und uns einander entrissen. Je größer der Abstand, desto lauter die Frage nach dem Warum. Es gibt keine Antwort. Sie steht da und wirft ihre unerbittlichen Schatten. Nichts verblasst, und die Klinge wird nicht stumpft. Sie sitzt tief und es gibt keine Aussicht auf Entfernung. Ich suche Wege, mehr als „nur“ Hinterlassenschaft zu sein. Einsamer Fackelträger, der nicht genau weiß, wohin er leuchten soll. Ich forsche nach dem Licht, das Du mir hinterlassen hast. Das zweifellos in mir scheint. Es gibt Momente, da bin ich ihm nah und spüre seine Kraft und Wärme. Die gilt es, auszuweiten. Die Empfindung zu schärfen.

12. August

110. In der Schwüle verdampft alles. Gestern Nacht dachte ich an unsere „Anfänge“ – als wir im Rostocker Café Central saßen. Ich habe diesen unseren ersten Sommer geschmeckt. Du brachtest die Leichtigkeit zurück in mein Leben. Und die Schönheit. Alles schien plötzlich so wunderbar einfach. Dafür bin ich Dir ewig dankbar.

13. August

111. Heute Perfektes Dinner mit Dir gesehen. Du bist großarttig.

14. August

Sechzehn Wochen. Das Gehirn ist Ofenkäse. Ein amorpher Brei aus Gedanken, Gefühlen, Erfahrungen, weichgekocht unter latenter Beflammung. Es gab zwei schwierigere Nächte, da hat es mich gerissen, und einige diffuse Träume haben mir den Start in den Tag versaut. Aber ich darf Dir versichern – ich lebe noch. Und dann und wann auch ganz gern.

Weitere Wochen ohne Marcel

•Juli 17, 2015 • Kommentar verfassen

21.06.2015

Nacht 58. Morgen, bevor ich aufwache, werde ich Dich in Armen halten und versuchen, Dich nicht loszulassen. Dich wiederzuholen, in meine Welt. Dann werde ich mich in den Tag tasten und weiter an diesem seltsamen Gebilde arbeiten – den Leben mit Dir ohne Dich. Es wird nicht wirklich einfacher. Früher konnten wir uns an einem festhalten: Egal was passiert, wir haben uns. Wir lassen uns nicht im Stich. Ich habe diesen Gedanken nicht verloren. Wo wäre ich heute ohne Dich? Ich versuche, Dich nicht zu enttäuschen. Sei nur ein bisschen für mich da.

22.06.2015

59. Der Alltag fält schwer. Motivationsschübe aus dem Nichts zu fischen. Ich darf mich nicht am Kunjunktiv aufreiben, nicht an Unabänderlichkeiten. Diese Schlucht muss ich weiträumig umfahren. Dem Selbstmitleid nicht zuviel Raum geben. Manchmal Augen zu und durch. Ich war jetzt zwei Tage alleine, das ist genug. Heute werde ich wieder in Gesellschaft sein. Mit Dir, mein Immerschön, immer in meinen Gedanken.

23.06.

60. Gestern auf Christians Geburtstag gewesen. Ging lang und war sehr nett. Es ist seltsam, danach nach Hause zu kommen und Du bist nicht da. Dass Du zu solchen Anlässen nicht mehr mitkamst, daran hatte ich mich ja gewöhnt. Dass wir danach nicht zusammen lachen oder streiten oder kuscheln – daran gewöhne ich mich nicht. Das habe ich auch gar nicht im Sinn.

24.06.2015

Nacht 61. Marcie, es gibt soviel zu erzählen. Aber ich bin furchtbar müde. Sei nicht böse – ich verschiebe es auf morgen. Gerade schmerzt meine Liebe und das Vermissen zu sehr. Ich laufe Gefahr, kitschig oder pathetisch zu werden. Das tu ich uns beiden nicht an. Habe ein paar echt lustige Erlebnisse gehabt. Die serviere ich Dir bald, mein Prinz. Jetzt heule ich noch ein wenig und bade mich in Selbstmitleid und weiß, dass Du mich deswegen hassen wirst. Doch okay, damit musst Du umgehen – hättest halt bleiben müssen, um mich zu stoppen.

25.06.2015

Nacht 61. Marcie, es gibt soviel zu erzählen. Aber ich bin furchtbar müde. Sei nicht böse – ich verschiebe es auf morgen. Gerade schmerzt meine Liebe und das Vermissen zu sehr. Ich laufe Gefahr, kitschig oder pathetisch zu werden. Das tu ich uns beiden nicht an. Habe ein paar echt lustige Erlebnisse gehabt. Die serviere ich Dir bald, mein Prinz. Jetzt heule ich noch ein wenig und bade mich in Selbstmitleid und weiß, dass Du mich deswegen hassen wirst. Doch okay, damit musst Du umgehen – hättest halt bleiben müssen, um mich zu stoppen.

26.06.2015

9 Wochen. Du bist so präsent. Mir ist, als würdest Du jede Sekunde zur Türe hereinkommen. Meiner.

27.06.2015

Nacht 64. Ich habe viel geheult heute. Es tut mir leid, dass ich nicht so stark sein kann, wie ich es gerne wäre. Und würd ich meine Würde los/ Würd ich mitnichten würdelos/ Ich würde würde los los los los/ Der Würde voll zurück auf Los. Mein über alles Geliebter, ich habe keine Ahnung, wie ich all das ohne Dich bewältigen soll. Ich schwöre Dir, dass ich es versuche. Ich werde alle Mittel, die ich zur Verfügung habe, dafür einsetzen. Aber Du fehlst so so sehr. Ich bin in der schlimmsten Hollywoodschnulze gelandet, wo zwei Menschen in Liebe getrennt werden und die Musik die Himbeersauce darauf absondert. Das Publikum wischt sich die Tränchen aus den Augen, schmeißt den Rest Poppcorn in die Tonne und geht ergriffen heim. Alle in ihre Nester. Aber ich verbleibe nach dem ENDE. Das letzte Puzzlestück dieser großen, schaurig-schönen Liebesgeschichte, für die der Autor kein Happy-End fand. Ich bin der Nachhall der Tragödie. Ich bin der Film, der passiert, nachdem sich der Vorhang schließt. Gute Nacht, mein Eisengel. Fühle Dich unvergessen und über alle Maßen geliebt.

28.06.2015

Tag 65. Letztens bin ich einer selbsternannten Hexe begegnet, die mich ob meiner weißen Aura anquatschte und einige Stunden über den Tod ihrer Schwester vor 20 Jahren befaselte. Ich sollte langsam Geld nehmen. Am liebsten hätte ich ihr in die Kimme gekotzt, aber da ihr Hirn offenbar vollgeschissen war, dachte ich, das reicht. Heute waren Deine Eltern da. Sie sind sehr mitgenommen, aber Deine Mutter wacker wie üblich. Sie ist ein kräftiges Mädchen, mach Dir keine Sorgen. Die Welt ist gewohnt schwachsinnig, die Prideweek habe ich erfolgreich umschifft, die Wahnsinnswogen glätten sich. Es wird langsam aber auch Zeit für ruhigere Gewässer.

29.06.2015

66. Mal wieder Klamotten ausgemistet – vieles von mir. Was man so hortet in den Jahren… unglaublich. Viele der Fetzen kannte ich gar nicht. Und dann Deine Hundertschaften an XS-Shirts… also, mal ehrlich, in die hast Du auch schon länger nicht mehr gepasst. Und all dieses Op-Zeugs… ein Hamsterer vor dem Herrn. Rea hat geholfen. Klingt vielleicht zynisch – aber es tut auch gut, auszumisten. Wir hatten das so oft vor in den letzten Jahren, aber wir sind ja zu fast nichts mehr gekommen. Geschweige denn zu uns. Ich sortiere. Auch mich. Keine Bange – Du gehörst nie zur Ausschussware.

30.06.2015

67. Der zweite Monat ohne Dich ist bald Geschichte. Man sagt, die Zeit rast. Oder sie fliegt. Für mich nicht. Sie hat keine Konsistenz. Ich nehme mir Zeit. Ich bringe Zeit mit. Ich brauche Zeit. Nur Zeit rauben lasse ich mir nicht mehr. Schon gar nicht die unsrige.

01.07.2015

Nacht 67. Wieder einmal geweint. Als könnten Tränen etwas lösen. Mehr und mehr muss ich mich damit abfinden, dass Du nicht mehr neben mir liegst, dass ich nicht mehr Dein Hafen bin, nicht mehr Ohr für Deine Stimme. Klar frage ich mich ununterbrochen, was ich falsch gemacht habe. Was ich versäumte, wie ich Dich hätte retten können. Diese Frage ist meine Pflicht – das Jammern überlasse ich all den Fremdkörpern, die geglaubt haben, Dich zu besitzen oder dass sie Dir etwas bedeuten. Die waren Dir völlig egal. Spielfiguren. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre eine dieser Dummgestalten für Dich gewesen. Das würde es leichter machen. Doch andererseits – niemand hat Dich besessen. Nur Du mich. Und ich hatte diese Ehre, dass Du mich liebtest. Mehr als alles andere. Das gibt mir ein bisschen Kraft und Mut. Ich liebe Dich auch, Immerschön. Von Tag zu Tag ein bisschen mehr.

02.07.2015

Nacht 68. Momentan wird es Tag für Tag schwerer. Eine Phase, ich weiß. Wenn ich nür wüsste, wie Du darauf reagieren würdest. Mir fehlt die Orientierung, oder, wie Du es formuliertest, die „Orientation“. Du bist immer so witzig in der Jonglage von Fremdwörtern. Du bist unendlich lustig. Das verbindet uns so tief. Das hast Du mit niemandem anders geteilt. Hätten wir es bloß geschafft, füreinander exklusiv da zu sein. Hätten, hätten, hätten… Was hilft es, sich am Kunjunktiv aufzureiben? Wir haben uns verfahren, und Du bist in der Sackgasse aufs Gas getreten. Wir sind vor die Wand gerast, und mein Airbag hat funktioniert. Glaube mir, Immerschön, es wäre mir andersherum lieber gewesen. Aber es ist nun einmal passiert. Ich wünsche mir so sehr, irgendwann das „Warum“ dahinter zu begreifen. Wenn Du eine Antwort hast, dann schick sie mir. Ich wäre Dir sehr dankbar.

Nacht 69. Berlin glüht, und ich öle. Melke nach einem Sinn. Du machst es mir nicht leicht, Immerschön. Die alltäglichen Absurditäten halten mich bei der Stange. Degenerierte Hündinnen, die versuchen, sich gegenseitig zu besteigen. Volltrunkene Tourettes, die mit portablen Radios Helene-Fischer-hörend die Betonwildnis unsicher machen. Muslimweiber, die obenrum Kopftuch tragen und untenrum bewäscht sind wie bengalische Hafenhuren. Der Witz ist der Humor. Ich bin erschöpft, nicht lebensmüde. Suche mehr Frieden als Ruhe. Bin ganz bei Dir. Denn wir sind eins. Ich habe Dich geliebt, bevor ich Traum der Lenden meines vaters war. Ich liebte Dich, bevor aus dem Wasser der Erde Leben entstand. Ich liebte Dich vor dem Urknall. Ich werde Dich bis zum Verenden des Universums lieben, bis zum Schluss der Zeit und darüber hinaus. Und Du liebst mich. Das macht uns groß. Größer als wir sind. Mit unseren kleinen, gescheiterten Existenzen. Da steht etwas über uns. Ich hoffe, dass es uns schützt. Und dass es uns zusammenhält und -führt. Mein Großer. Mein Prinz.

03.07.2015

10 Wochen. Es vergeht keine Sekunde, da ich nicht an Dich denke. So vieles geschlossen, doch noch viel mehr offen. Das ist keine einfache Reise, auf die Du mich da geschickt hast.

04.07.2015

Tag 71. Die Stadt ölt. Heute endlich Access zu Deinem Computer gefunden – also natürlich nicht ICH. Wie auch? So kann ich endlich Deine Files sichern, die Musik, die Pics… Nichts Überraschendes gesichtet… zumindest nichts, was ich nicht eh gewusst habe. So viele Lügen, soviel Betrug und Schmerz… wir haben echt nichts ausgelassen. Trotz allem – ich brauche Dich. Wir haben uns ein Leben miteinander aufgebaut. Die meiste Zeit war wunderbar. Anderes war Scheiße. Es ist Schwachsinn, dass man hinterher nichts hätte anders machen wollen. Aber dass wir zusammen waren, die vielen Jahre, das bereue ich keine Sekunde.

05.07.2015

72. Die Hitze hat mich nebst Katzen umgehauen. Der Dicke hat jetzt seine innige Liebe zu mir entdeckt – wer bleibt ihm anderes übrig? – und lässt ihr grob mit Kopfstößen und wabbeligem Reiben freien Lauf. RTL quatscht vom „Tropenwochenende“. Na denn… An solch sämigen Tagen wie heute vermisse ich Dich noch mehr. Das Leben ist umso vieles langweiliger geworden. Das Teilen hat Sinn gemacht. Haben wir es als zu selbstverständlich hingenommen? Seitdem ich nicht mehr mit Dir teilen kann, habe ich arge Motivationsschwächen. Wir hatten, trotz aller Probleme, eine sehr schöne Insel. Das war ein Schutz. Und der fällt nun leider weg. Jammerschade.

06.07.2015

73. Heute Malereibedarf zugelegt – die Renovierung der beiden vorderen Zimmer geht in die nächste Phase. Allerdings erst wenn es etwas kühler wird. Ich habe den Eindruck, unsere kleine Klimaanlage im Schlafzimmer produziert auch nur heiße Luft – allerdings wirkt sich in Illusion von Wind psychosomatisch positiv aus. Ich glaube, ich bin an Narkolepsie erkrankt… ich könnte ständig schlafen. Manchmal sind die Träume gnädig, manchmal unbarmherzig. Meistens erinnere ich sie nicht. Besser so. Aber an meinem morgendlichen Stimmungsbarometer kann ich ablesen, was ich nachts durchlaufen habe. Ich wünschte, ich könnte an ein Jenseits glauben, einen plastischen Ort, wo Du bist. Aber leider kann ich den Verstand nicht ausschalten. Er ist ja auch mithin das einzige, das mir bleibt.

07.07.2015

74. Heute im Verlag gewesen, es gibt einiges zu tun, das hilft. Danach mit dem Bus heimwärts. Der Sommer zeigte sich mit wuchtiger Grausamkeit. Behaarte Arschdekolletés, eine verschwitzte Dame mit Vollbart, zwei Greisinnen beim Rollatorhakeln in Sommerkleidchen, die freien Ausblick auf gewässerte Gelenke gewährten – die ganze Pracht unterweht vom Odem billigen Deodorants, das den Harnduft zu übertynchen sucht, was nicht gelingt. Jetzt bin ich erschossen. Aber das wird schon wieder. Selbst in der Sahara schneit es ja gelegentlich.

08.07.2015

75. Heute Arztbesuch. Dabei die haarprächtigen Verunfallungen bestaunt. Immer wieder gerne: Der Vokuhila, vorne gefranst, und je weiter gen Osten umso farbenfroher (keine Mandy ohne roten Pony und schwarzes Gestriegel). Ebenfalls ein Evergreen: Die graugelbe Matte bei älteren Herren, Einsteinsch verflaust. Und viele, viele Nester – geradezu Adlerhorste. Wenn sich vom Äußeren der Schädelbewachsungen aufs Innere schließen lässt, dann ist es beruhigend zu wissen, dass viele viele Menschen wesentlich verwirrter sind als ich… Ich lästere immerzu mit Dir zusammen. Muss mich zusammenreißen, dass dabei nicht laut rede. Gäb sicher ein paar aufs Maul.

Nacht 76. Es war endlich wieder kühl!!! Geradezu atemlufttauglich. Ich bin daheim geblieben. Ich schweige, gemeinsam mit den Katzen. Die tun das aus Blödheit, ich aus Überzeugung – wobei die Grenzen hier ja fließend sind.

10.07.2015

Tag 77. 11 Wochen. Heute war es unerträglich. Zäh und gemein und dickflüssig. Ich habe mal wieder geträumt von Dir – Dein Tod, Dein Verschwinden, alles war ein großer Schwindel. Du warst wieder zurück. Morgens habe ich mich geweigert, wach zu werden. Jetzt ist es 16 Uhr, und ich bin immer noch total gerädert. Ich frage mich, ob dieses Auf und Ab jemals aufhört, oder zumindest nicht so extrem durchschüttelt. Ich kann das nur hoffen. Meine Energievorräte gehen langsam aber sicher zur Neige.

11.07.2015

78. Wieder so eine Nacht der 1000 Bulldozer. Liegt es daran, dass wir uns langsam der 3-Monatsmarke nähern? Ich hatte eigentlich nicht vor, den ganzen Freud durchzuspielen. Du spukst durch mein Unterbewusstsein. Sei so lieb und leg da mal ein gutes Wort für mich ein – ich brauch dringend Tiefschlaf.

12.07.2015

79. Die Nacht verlief endlich wieder einigermaßen, bis auf den Moment vorm Aufwachen, der war Horror. Heute den Untermietvertrag abgefasst. Unterzeichnet. „Unser Reich“, unsere Insel wird langsam wieder bevölkert. Leben kann nur helfen. Ich bin immer so erschöpft – geradezu tatterig. Tausend Milliarden Jahre davon entfernt, zu verstehen.

13.07.2015

80. Wieder ein Montag. Wieder ein Wochenstart. Die Leute sehen völlig verknittert aus. Man sollte das morgendliche Gesichterbügeln zur Pflicht erklären. Das Klima hat sich auf indifferentes Ölen bei mittleren Temperaturen eingeschossen. Heute Nacht habe ich von essen geträumt – das nehme ich mal als Omen, dass es Zeit für Nahrungsaufnahme wird. Langsam lichten sich die Nebel etwas. Das Jammertal der Depression scheint vorläufig durchschritten. Der nächste Tunnel kommt bestimmt.

14.07.2015

81. Heute im Bus wieder mal fasziniert von den Anhängerinnen der Verschönerungsfront, die ihre plastischen Chirurgen offenSICHTLICH anweisen, ihnen den gängigen Miezekatzenlook zu verpassen. Auch verblüffend, dass derlei angeboten wird. Macht nicht jung, aber zeitlos, auch nicht schön, jedoch Blickfangtauglich – wie was ganz Fieses (offenes Bein, Eiterpickel), wovon man trotz Brechreiz den Blick nicht wenden kann… Oje, mein Lieber, wieder mal Überdosis Realität abgekriegt. Habe mich beruhigt, indem ich alte E-Mails zwischen uns durchstöbert habe. Das war einigermaßen tröstlich. Es war nicht alles Illusion.

Nacht 82. Heute ging die Renovierung der vorderen Zimmer in die nächste, „heisse“ Phase. Alles leergeräumt, abgeschraubt, rausgeschafft. Mäßig erfreulich. Es ist wie ein Ausverkauf Deiner Seele. Ich suche immer noch nach Wegen, damit umzugehen. Ich als Deine Müllkippe, Dein Verwalter der Trümmerhaufen. So Vielen hast Du rein romantische Erinnerungen hinterlassen, den Mythos der Verliebtheit, das Irrlicht Deiner Präsenz. Ich hatte das ganze Paket. Und ich weiß, dass Du mich liebtest, wie ich Dich. Aufrecht und einzig. Aber das ist leider auch ein Fluch. Mein Marcie, ich vermisse Dich. So tief und unendlich. Was auch immer zwischen uns vorfiel, was ich auch posthum erfahre – es ändert nichts an meiner Liebe. Wäre schön, es wäre anders. Leichter. Es ist jedoch wie es ist. Jeder meiner Atemzüge gehört Dir. Und der Gedanke an Dich zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen.

15.07.2015

82. Heute Ikea und Bauhaus. Schlendern ist Luxus, das kann ich Dir flüstern. Berlin schafft es, selbst bei nur 22 Grad erdrückende Schwüle zu produzieren. Eine echte Kunst. Dann die ganzen (werdenden) Muttis mit unendlich vielen ungezogenen Kindern, voluminöse Heimwerker schnauben entfesselt schwitzend durch das Überangebot des Baumarktes. Hallali. Danach fühlt man sich wie nach 2 Jahren Zwangsarbeit im Gulag. Den obligatorischen Hotdog habe ich mir erspart. Derlei Sauereien haben nur mit Dir Spaß gemacht.

Nacht 83. Es war nicht verheult, eher lustig. Du hättest mitgelacht. Schtonk geguckt. Genial. Ich liebe Dich. Gute Nacht. Deiner.

17.07.2015

12 Wochen. 12 Jahrhunderte, gleichsam 12 Bruchteile einer Sekunde. 12 Millionen ungestellte Fragen, 12 Trilliarden ausstehende Antworten. 12 Tonnen schweres Herz, 12 federleichte Gedanken an Dich. 12 Meilen tiefer die Gefühle, 12 Berge mehr zu überwinden. 12 mal so wach.

Die nächsten Wochen ohne Marcel

•Juni 19, 2015 • Kommentar verfassen

28.05.2015

34. Heute war es besonders schwierig. Auf jedes Hoch, sei es noch so niedrig angelegt, folgt ein Tief. Aber ich stürze nicht ab. Das tu ich Dir nicht an. Ich rede mit Dir, immerzu. Wenn ich alleine in der Wohnung bin, auch gerne laut. Wie ein Seniler oder ein gepflegtes Tourette. Ich rede Dich herbei. Viel mehr Konversation als früher, weil wir uns meist über Blicke verstehen. Aber diese Blicke ernte ich nicht mehr. Jetzt, gegen Abend, geht es wieder einigermaßen. Ich lerne, mit dem Schmerz zu leben. Ihn zu spüren und anzunehmen, weil Schmerz ja auch ein Anzeichen von Leben ist. Wirklich leben, nicht bloß atmen. Ich muss noch lange nach dem Sinn suchen. Vielleicht entdecke ich ja irgendwann mal einen Ansatz. Bis dahin Werte schöpfen. Wörter wie Lebensqualität ausloten. Das wird gar nicht so einfach sein, ohne Deinen kritischen Blick. In Deinen Augen ertrinken.

Nacht 34. Ich erfahre scheibchenweise mehr und mehr über Dich, über Zusammenhänge, Hintergründe – viel mehr, als ich wissen wollte. Aber ich bleibe Dir, Engel, wie ich immer blieb. Und ich erinnere Dich so schön und kraftvoll, wie Du im Kern immer warst und bist. In tiefer Liebe. Dein bester Freund.

29.05.2015

5 Wochen. Heute ist der Nachmittag genauso schön wie der am 24.04. Die Sonne scheint, die Welt tut arglos. Es ist so still.

31.05.2015

Mein Geliebtester. In Tag/Nacht 36 bin ich abgearbeitet und auserzählt. Da ist diese Leere. Und mein Sehnen nach Ruhe. Einfach mal den Motor abstellen. Mich Karre abmelden und irgendwo überwintern oder übersommern lassen. Nichts denken, nichts reden, nichts zermalmen. Treiben. Dich und mich, UNS finden. Da, wo wir begannen, An der Wurzel, die uns entrissen wurde. Marcie, mein Marcie, Du fehlst. So sehr.

01.06.2015

Nacht 37. Du zählst das Datum nach der Uhrzeit, nicht, wie ich, dass der Tag erst beginnt, wenn ich morgens aufstehe. Ich ticke jetzt wie Du. Jetzt ist der 01.06. Heute vor 15 Jahren sind wir zusammengekommen. Am „Kindertag“. Ich war desolat, entrückt, abseitig. Du hast etwas in mir gesehen. Mich erkannt. Und Du hast mir zu diesem Zeitpunkt das Leben gerettet. Weil Du von außen kamst, unbelastet, frisch. Wie eine Sommerbrise. Das werde ich Dir nie vergessen. Da war viel Zorn, viel Streit, viel Verzweiflung auf diesem langen Weg. Aber Du hast mich, als ich alle anderen ausschloss, gerettet. Ich werde dieses Geschenk nicht verraten. Es kann nicht sein, dass Du mich erhieltest, damit ich mich nun aufgebe. Das willst Du nicht, so gut kenne ich Dich – und ich kenne Dich. Ganz sicher als einziger, dem Du Einlass gegeben hast in Deine sehr, sehr eigene Welt. Ich nehme die Aufgabe an, mit Dir in mir weiterzumachen. Vielleicht, eines Tages, sogar einen Sinn zu finden. Aber verlasse Dich auf mich – dieses Dein Geschenk, mein Leben, geht nicht an den Absender zurück. Ich achte darauf und führe es für uns beide fort. Du wirst stolz auf mich sein, wie ich stets auf Dich stolz bin. Stolz und Würde. Das sind unsere Säulen.

03.06.2015

Nacht 39. Wir hatten uns entfremdet, aber nie entfernt. Das ist unsere Tragödie. Die Trennung siamesischerscher Zwillinge. Amputation. Mein Herz schlägt für uns beide. Was auch immer Du willst, mein Prinz, ich bin für Dich da. Gestern, heute und ewig. Du kannst auf mich zählen.

Tag 40. Heute für Deine Bestattung einen Anzug gekauft. Du magst mich im Anzug. Ich hätte drauf verzichten können, aber warum nicht? Der Sommer fördert gnadenlos Menschenfleisch zutage. Gruselig. Die Stadt dampfte und die Menschen dünsteten. Es war furchtbar. Du hättest gallige Freude dran gehabt. Ich freue mich immer aufs Schlafen. Ich treffe Dich regelmäßig im Traumland, letzte Nach gleich dreimal. Da fühle ich mich Dir so nah. Auch wenn ich, wie jetzt, alleine in der Wohnung bin. Du bist zwar fort, aber immer da.

04.06.2015

Dieser Tag 41, mein Marcie… gestern habe ich so viel geschafft, und heute war wieder Lähmung angesagt. Ich bin so traurig. Du fehlst.

Nacht 41. Als ich in der Frühe aufwachte, hatte ich ein gespenstisches Erlebnis. Mir war, als würden sich Deine Finger um mein Handgelenk legen und mich drücken – ganz real. Ich war völlig verwirrt. Ich habe Dich körperlich wahrgenommen. Ich bin ja nun wahrlich kein Esotheriker oder Sektierer, und schonmal gar nicht frömmelnd religiös – aber ich bin doch offen für alles, was Du mir beibringst. War ich übrigens stets, auch wenn Du es mir nie abkaufen wolltest. Glaube mir, Immerschön – in diesem Punkt hast Du mich stets falsch eingeschätzt. Ich bin offen für neue Ideen. Wie sonst kann ich es seit 15 Jahren mit Dir aushalten? Du wunderlicher, wunderbarer, wundergroßer Mensch. Du Überwältigender. Ich werde immer von Dir lernen. Lernen ist Leben. Fass mich wieder an. Mit mir zusammen lebst Du fort. Und ich mit Dir. Ich küsse Dich zur Nacht, Prinz. Wir sehen uns gleich. Im Traumland.

05.06.2015

Tag 42. Das 6-Wochen-Hochamt halte ich alleine ab. Keine Bange, das wird jetzt nicht selbstmitleidig. Ich bin nur so traurig für Dich, dass Du den streichelnden Wind nicht mehr spürst, die Sonne auf Deiner Haut. Ich dachte, die Zeit vergeht schneller. Aber sie kriecht. Und Woche für Woche dehnt sie sich mehr. Ich habe Heimweh nach uns. Mein Geliebter.

07.06.2015

Nacht 43. Nun trudeln die ersten Gäste ein, die von Ferne zu Deiner Bestattung anreisen. Das ist alles so unwirklich. Ich komme heim, Du bist überall vorhanden und doch nicht da. Unvermittelt drehe ich mich nach Dir um, suche Deine Hand, will eine verdeckte Wortnachricht schicken, oder nur einen Blick. Wie soll ich mich denn daran gewöhnen, dass Du nicht antwortest? Zumindest nicht auf dem bekannten Weg? Freilich lebst Du in mir. Und Du bist der Grund, warum ich weiter existiere. Ich frage mich bloß ständig: Wie? Es geht gerade nur von Tag zu Tag, Moment zu Moment, Treffen zu Begegnung. Ich rede gerne über Dich, mit Freunden. Sie lernen Dich über mich von neuen Seiten kennen. Einige habe ich abwerfen müssen, wie Ballast aus dem Fesselballon. Die Spreu trennt sich. Aber es ist soviel Liebe und Wärme da. Ich wusste gar nicht, wie „beliebt“ wir sind. Mein Immerschön, ich muss jetzt schlafen. Du wartest schon auf mich, im Traumland. Ich freue mich so sehr, Dich zusehen. Ich bringe Dir viele Grüße mit. Immer Dein.

Tag 44. Es herrscht eine seltsame Anspannung. Nicht von mir produziert. Ich habe ja schon, soweit das überhaupt geht und Sinn macht, Abschied genommen. An meinem Zustand ändert die morgige Bestattung nichts. Ich fühle mich einfach schutzloser, wenn ich unter Menschen muss, ohne Deinen Arm, Deine Schulter, Dein kurzes Grinsen und aufmunterndes Zwinkern. Ich versuche, mich zu konzentrieren und Dich zu spüren. Ohne Dich geht gar nichts. Du bist da. Ich muss mich nur immer wieder darauf besinnen.

08.06.2015/ Tag der Bestattung/ Meine Rede für Dich, gehalten von Wolfgang.

„Wenn ihr Freunde vergesst, wenn ihr den Künstler höhnt,
Und den tieferen Geist klein und gemein versteht,
Gott vergibt es, doch stört nur
Nie den Frieden der Liebenden.“

Hölderiin

Was Du magst: Schokolade. Plätzchen. Süßigkeiten an sich. Legendär sind Deine nächtlichen Fressattacken. Im Tiefschlaf wankst Du zu den Regalen, wo Zuckerzeug gelagert ist. Und danach Richtung Kühlschrank, weil man ja nach Süßem etwas Herzhaftes zu sich nehmen soll. Somnambul kratzt Du mit der Gabel Frühstücksfleisch aus der Büchse, die Du danach gewissenhaft mit Plastefolie versiegelst. Am nächsten Morgen erinnerst Du Dich an nichts. Der einzige Hinweis ist der Brei, den Du auf Dein Kissen sabbelst. Aber das wirklich Gemeine ist: Du nimmst kein Gramm zu! Du freust Dich wie ein Schneekönig, wenn Du Deinen Mann fütterst wie ein Mastschwein und er an Volumen gewinnt, während Du schlank bleibst wie ein Eisprinz. Wobei Du Dich immerzu über Deine Oberschenkel beklagst, die angeblich die Ausmaße von Elefantenbeinen hätten. Realistische Selbsteinschätzung ist Deine Sache nicht.

Ein Berserker bist Du, ein Besessener. „Nicht kleckern, sondern klotzen“ heißt Deine Devise. Dabei ist der entfesselte Zorn Deine Kür. In der Wut bist Du gut. Herrlich aufregen kannst Du Dich, über jeden Scheiß. Vor allem, wenn Dir einer an die Wäsche will. Buchstäblich. Wäsche und Abwasch sind Deine Domänen. Zwischen Dir, der Spül- und der Waschmaschine besteht eine regelrecht intime Dreierbeziehung. Da passt kein Blatt dazwischen. Die Teller polierst Du, bevor Du sie der geliebten Spülmaschine zumuten kannst, was ihren Sinn und Zweck ad absurdum führt. Und wenn jemand es wagt, die Waschmaschine ohne vorherige Konferenz mit Dir zu bedienen, dann lächelst Du ihn bloß kühl an und stellst auf nochmaligen Spülgang. Spätestens, wenn man am Tresen des benachbarten „Neuen Ufers“ sitzt und Du alle Viertelstunde aufspringst, um mit den Worten „Ich muss nach der Wäsche sehen“ für 5 Minuten davon fegst, wird man regelrecht eifersüchtig auf diese Waschomaten, denen Du Dich in tiefster Verbundenheit verschrieben hast. Das ist furchtbar nervig, aber abgründig charmant. Hier wie in allem bist Du kompromisslos. Ein Perfektionist.

Wie beim Kochen: Deine Forellen – unvergleichbar. Deine Königsberger Klopse, Dein Tafelspitz, Deine Senfeier: Gedichte. Goethe ist ein Scheißdreck dagegen. Wenn Du was machst, dann machst Du es richtig. Das ist Deine Maxime.

Gegessen wird das Festmahl dann im Bett, denn das Bett ist Dein liebster Aufenthaltsort. Neben dem OP, vielleicht. Denn dort brennst Du, verbrennst alle Energie. In Deinem Job als Mediziner gehst Du auf wie Alkaseltzer. Der ist Deine Berufung, Deine Obsession, Dein echtes Talent. Du verstehst den Menschen, seinen Körper, und alle Zusammenhänge. Kollegen attestieren Dir Deine außergewöhnliche Begnadung. Aber Genie und Fluch liegen naturgemäß nah beieinander. Doch darüber wollen wir heute nicht sprechen, oder?

Deine unbestechliche Blickdiagnose. Dieses Talent im Umgang mit dem Menschen hast Du früh entdeckt. Deine Mutti Kersten redet heute immer noch gern darüber, wie dezidiert Du Teddybären seziertest. Ein paar Jahre später, als Heranwachsender, bist Du rotzfrech ins Rostocker Klinikum gestürmt, hast OP-Wäsche gemopst und bist dann in voller Chirurgen-Montur durch die Gänge marschiert, wo Dich ehrerbietige Schwestern mit demütigem Blick als „Herr Doktor“ titulierten. Die Uniform macht’s! Du hast in der Kantine gesessen und mit Kollegen palavert, weil Du Dir schon soviel drauf geschafft hattest. „Eidetisches Gedächtnis“ nennt man das. Da warst Du erst 16, und jeder hat Dir Deine Suaden abgekauft. Nein, man kann nicht behaupten, dass Du nicht überzeugend warst. Ein wunderbarer Felix Krull.

Dabei bist Du der klassische Choleriker. Zwischen himmelhoch-jauchzend und zu-Tode-betrübt. Aufregen kannst Du Dich, das ist Dein Ventil. Nicht nur über die Wäsche, auch über Kollegen, wenn sie in Deinen Augen keine Gnade finden. Oder Patienten, die sich übers Internet bereits selbst diagnostizierten. Da sind sie bei Dir aber an genau der richtigen Adresse!

Du zitiertest als junger Arzt gerne Deine Oma Hanni: „Da sieht doch einer aus wie der andere heißt.“ Dieses entzückend Misanthropische ist schon eine Stärke. Wenigstens machst Du kein Hehl daraus. Schimpfen tust Du nach dem Dienst wie ein Rohrspatz. Und dann dozierst Du, während wir Freunde um Dich müder und müder werden, einige aber immer noch interessiert an Deinen Lippen hängen und sich agitieren lassen, während Du, vom Fluch des Würgereflexes befreit, Dir ein Bierfass nach dem nächsten einverleibst. Dann bist Du der große Diktator, der Charlie Chaplin der Medizin, mit deren Möglichkeiten und Begrifflichkeiten Du brillant jonglierst.

Du bist das nicht gesungene Lied

Die nie verklingende Melodie

Du bist im Allein das bindende Glied

Du bist im Vergessen das Déjà-vu

Du bist in unserem Wenig das Viel

Du bist im ewigen Lauf das Ziel

Du bist für uns viel mehr als du denkst

Du bist, wer Du scheinst – und Du bist, was du schenkst

In der Medizin gehst Du auf wie Alkaseltzer. Die Idee des Mediziners trägt Dich, und jeder, der Dich kennt, rechnete fest mit dem Nobelpreis. Wobei Deine vorgeschobene, enorme Sachlichkeit ein Schutzpanzer ist. Du hast ein großes, empfindsames Herz. Wobei Du nie eingestehen würdest, sensibel zu sein. „Ich? Ich doch nicht!!! Nein niemals!“. Aber das ist geflunkert. Und flunkern kannst Du richtig gut. Goldstaub in die Augen streuen.

Eine weitere Liebe von Dir gilt nämlich dem Theater. Unvergessen die Situation, da unsere Freundin Antje eigentlich nicht auftreten konnte und Du sie in der Kantine des Chemnitzer Schauspiels per Vitamininjektion gedopt hast. Aber Du hattest, wie viele Male zuvor und danach, mal wieder eine Vorstellung gerettet.

Ein Retter bist Du allemal. Vor allem für Deinen Mann, der durch Dich neue Lebenskraft schöpfte. Am Kindertag, dem 01. Juni 2000, trautest Dich, ihn das erste Mal anzusprechen: „Herr Call, sind sie eigentlich homosexuell?“ Und er erwiderte: „Ja, unter anderem bin ich schwul“. Da hast Du ihn geküsst und hattest ihn ganz in der Hand, über 15 Jahre Beziehung, davon 8 Jahre Ehe hinweg. Wobei Du Deinen Eltern immer wieder respektvoll einräumtest, wie liberal sie mit Deiner Homosexualität umgingen. Da gab es kein böses Wort, auch gegen Daniel nicht. Klar kam bisweilen das Thema „Du sollst mir Enkel schenken“ auf, aber jeder, der Marcel kennt, weiß, dass er und Kinder eine fatale Allianz bilden würden. Marcel ist solitär. Der einzige Mensch, den Du dauerhaft einigermaßen erträgst, ist Daniel. Und so blieb es, bis zum Ende. „Ganz oder gar nicht“.

Ein Freigeist wie Du liebt das Leben. Und Du schöpfst es mit voller Kelle aus. Du bist ein Tänzer – vor allem auf Deiner Lieblingsparty, „Chantals House of Shame“. Da bist Du ganz bei Dir, wenn Du Dich den Bässen im Bassy überlässt. Hätte dieser fatale Unfall Dich uns nicht entrissen – aber wie sagt man? Den Zurückbleibenden gehört die Trauer, dem Reisenden die Freiheit.

Du steckst voller anarchistischer Ideen. Beim Vater Deiner liebsten Kommilitonin Ninni Übel denkst Du Dir, er stelle sich seinen Patienten mit den Worten vor: „Guten Tag, ich bin Doktor Übel, genauso wie mein Ruf.“ Darüber kannst Du Dich ausschütten vor Lachen. Genauso wie über all die Geschichten, die Du fabulierst, ob sie nun wirklich stimmen oder nicht. Besser gut erfunden als schlecht nacherzählt. Denn ein begnadeter Geschichtenerzähler bist Du, ein elysisch schöner Charmeur, der im Rostocker Theaterjugendclub meist beleibte Mädchen um sich scharte und sie wie in Michelangelos „Letztem Abendmahl“ ehrfürchtig als schillernder Mittelpunkt mit seinen weichen Worten balsamierte. Ein Magier bist Du, eine freie Radikale. Immer extrem.

Doch im nächsten Moment kannst Du umsichtig sein. Da betrachtest Du Deine geliebte Oma Hanni, Deine angebetete Mutter Kersten, und es wird Dir klar, dass Du wieder ein paar Teller zerschlagen hast mit dem Argument „Ich bin’s nicht gewesen“, wobei Du allein in der Küche warst. Dann bist Du untröstlich. Wehtun wolltest Du Deinen Liebsten nicht. Wie Deiner besten Freundin Julia, mit der Du seit frühester Kindheit wilde Abenteuer erlebtest. Oder Ninni, Wolf, Andrea, Rüdiger, den Franks, den Thorstens, Karin – all Deinen Freunden, die in Deiner Wahlheimat Berlin auch so was wie eine Familie für Dich wurden. Und wenn Du über die Beziehung Deiner Eltern redest, über Kersten und Ralf, dann bist Du ganz begeistert, wie so eine Liebe jung und frisch bleiben kann über 3 Jahrzehnte hinweg. Bleib ruhig. Marcie, die Hälfte hast Du ja mit Deinem Daniel schon geschafft.

Du bist von unserer Kerze der Docht

Die Flamme, die ewig glüht

Fragezeichen und letztes Wort

Die Nachhut, die schließlich siegt

Du bist an unserem Himmel das Licht

Und sind wir haltlos, gibst Du uns Gewicht

Du bist für uns viel mehr als Du denkst

Du bist, wer Du scheinst – und Du bist, was Du schenkst

Was Du nicht magst: Flennende Männer. Dieser Ausdruck von Sentiment ist Dir fremd. Ob das daran liegt, dass Du selbst eine gar so sensible Seele bist, die stets um Fassung ringt? Aristokratische Kontenance. Du hast das größte und verletzlichste Herz, das wir kennenlernen durften.

Irgendwann hast Du versucht, Dir, in Erwartung des Arztberufes, die Schläfen grau färben zu lassen, weil das für Dich den Impetus an Seriosität darstellte. Hat natürlich nicht geklappt. Da warst Du wieder unser Clown, der begnadete Alleinunterhalter, der uns über seine Solonummern locker über Wasser hielt.

Du bist ein Gefühl, das sich schwingend ergibt

Eine Uhr, die schlägt

Eine Schulter die trägt

Ein Herbst, der liebt

Ein Frühjahr, das gibt

Ein Sturm, der sich über uns legt

Du bist ein Gefühl, das uns lachend umfängt

Eine Nummer gewählt

Ein Moment, der zählt

Du bist die Goldene Zeit, die uns drängt

Seidenfaden, an dem alles hängt…

Marcel, Marcellinho, Marcello – es gibt so vieles zu sagen über Dich. Doch der Kelch der Worte ist geleert. Du hast uns unendlich viel mehr hinterlassen, als Du uns nahmst. Ahoi, unser aller Marcie, eine schöne Reise wünschen wir Dir. Du wirst immer der Wind in unseren Segeln sein.

09.06.2015

Tag 46. Gestern war Deine Bestattung. Viele Freunde, Kollegen und Deine Familie sind gekommen. Rebekka hat gesungen, Rosa rezitierte die Ringparabel, Wolf hielt die Trauerrede, und zum Schluss ließen wir das Matrosenlied von Georgette laufen.Ich hoffe, es hat Dir gefallen. Danach saßen wir lange zusammen, bis in die Nacht hinein, und haben viel gesprochen. Du warst so gegenwärtig… und Du bist es immer noch. Es gibt kurze Momente, da finde ich das Leben sogar wieder ansatzweise schön. Und ich fühle nicht diese innere Unruhe, diese quälende Sehnsucht nach Dir. Ich bin sicher, sie werden mehr. Doch Du wirst nie verblassen.

10.06.2015

Tag 47. Es ist still um mich. Ruhiger Wellengang. Ich habe Dein Bild zunächst nur aufgestellt. So, dass ich Dich sehe, wenn ich aufwache. Und Du schaust mich an. Wir verlieren uns nicht aus den Augen.

11.06.2015

Tag 48. Heute ist es schwer. Die Trauer nimmt nicht ab, sie verwandelt sich. Sie wird zu meinem Schatten, meinem stänfigen Begleiter. Ich wünschte, ich könnte wütend sein. Aber ich empfinde nur Zärtlichkeit für Dich. Und der Gedanke, Dich nie wiederzusehen, nie mehr zu berühren, zu spüren – manchmal sprengt er das Maß der Erträglichkeit und ich muss mich schwer disziplinieren, damit ich nicht die Tapete von den Wänden kratze. In jedem Winkel ruhen Erinnerungen. Manchmal sind sie sanft, bisweilen springen sie mich an wie hungrige Raubkatzen. Es ist so schwer. Und so ein… Jammer. So nah, und doch so fern. Gestern Nacht habe ich wieder Deinen großen Bluff geträumt – das war beängstigend real. Ich fand schwer in den Tag. Aber hab keine Angst, Immerschön – das stehe ich durch; für Dich, mit Dir. Weil uns der Tod nicht scheidet.

12.06.2015

7 Wochen. Im Gegensatz zu den 15 Jahren… ein Furz im Wind. Ich habe Fieber, es hat mich richtig umgewedelt. Hatte ich aber schon befürchtet. Das ist ja mal wieder eine reife Leistung: Sommer, Sonne, und ich bin erkältet. Ich frag mich ehrlich, wo ich mir das weggeholt habe. Ich merke, wie Du die Augen verdrehst aber dann wieder mit der vollen Wucht der Schulmedizin einen Pflegetsunami lostrittst. Das vermisse ich sehr. Deine Fürsorge. Die Hühnersuppe. Den Tee. Klar mache ich das jetzt alleine. Es war nur soviel heilsamer mit Dir. An meiner Seite.

13.06.2015

Tag 50. Immer noch kränkelnd. Stressfieber oder so. Heute Vormittag den Vogel abgschossen. Erst Apotheke, dann Getränkeladen, dann erntdeckt: Kein Schlüssel dabei! Der Albtraum, seitdem Du weg bist. Also Schlüsseldienst gerufen, die Wohnung auf den Kopf gestellt, Schlüssel verschwunden. Schließlich ein Geistesblitz: Bittest Du doch Matthi, auf dem Weg zum Dienst im Getränkeladen nachzfragen. Und siehe da: Den Schlüssel dort vergessen. 65 Euro für den Arsch (wobei nicht der Mann vom Schlüsseldienst gemeint ist) und keinen Schimmer, warum ich das Mistding da überhaupt ausgepackt habe. Ich höre Dich „Scheiße!!!!“ schreien. Mein Marcie – hier lebt noch soviel Liebe. Der Zorn, die Verzweiflung – all das ist ausgezogen. Aber die Liebe ist da. Macht es nicht dringend einfacher. Oft sogar schwerer. Ist aber so.

15.06.2015

Tag 52. Nach gestriger Wiederauferstehung habe ich mich kräftig überhoben und liege entsprechend wieder auf der Schnauze. Man kann mir wahrlich nicht unterstellen, dass ich aus Fehlern klug werde. Momentan laufe ich auf Reserve. Fühle mich wie Griechenland. Wie geht es Dir? Schick mir mal ein kleines Zeichen. Muss ja nicht gleich ne Postkarte sein. Der Gedanke zählt.

Nacht 52. Heute wurde ich über die genauere Ursache informiert. Das barg wenig Überraschendes, hat mich dennoch schwerer angefasst als ich vermutet hätte. Danach habe ich mich dann zur Aufmunterung dem düsteren Spätwestern „The Horseman“ von Tommy Lee Jones unterzogen und mit „Blackhat“ den bislang einzig beschissenen Michael-Mann-Film gesehen. Heute Abend versprühe ich den Charme von Frauenfussball und mache genauso Laune. Ich bleibe zuhause.Gute Nacht, mein Prinz.

16.06.2015

Tag 53. Heute war ich im Verlag. Wir haben über einige Projekte gesprochen. Ich denke, da ist Vielversprechendes dabei. Zeit für Arbeit habe ich ja jetzt – en masse. Danach ist so ein dickes Mädchen in unglaublich engen schwarzen Hosen vor mir hergewackelt – die hatte schon Gelenkstarre. Ich erinnerte mich daran, wie wir uns ausmalten, wie diese Geräte da hineinkommen: Unten müssen zwei die Hose aufhalten, und die Fette springt dann aus dem 2 Stock aus rein. Sitzt passgenau. Im Homeshopping nennen sie das slinky und formschmeichelnd. Was daran schmeicheln soll ist mir immer noch unklar. Gestern war ich sehr traurig, mein Marcie. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich Dir vielleicht doch noch hätte helfen können. Deine Verzweiflung lindern. Es fiel mir nichts ein. Es tut mir einfach Leid, dass ich schließlich nicht stärker war, als ich nun mal bin. Auch wenn Du mir einen Vogel zeigst – leidtun darf es mir doch. Ich vermisse Dich, mein Immerschön. Aber ich schreibe wieder gerne – mit Dir als Mephisto in meinem Kopf. Und ich freue mich über jede Pointe, die ich in Deinem Sinne versenke. Dann höre ich Dein Lachen. Das befreit.

18.06.2015

Tag 55. Gestern war ich mit Bertie beim Grab. Erstmal alles Welke ausgemistet, dann ein paar Blumen in die Vase, die Sonne genossen – hier in der Wohnung fühle ich mich Dir näher. Ich habe dann über so Vieles nachgedacht, was ich Dir schreiben wollte. Nichts ist dabei herumgekommen. Denken macht eben doch nur Falten. Ich habe sehr schlecht geschlafen und fürchterlich geträumt. Sei bitte gnädiger, wenn Du mich nachts besuchst. Sonst ist der Tag für den Arsch.

Nacht 55. Ich bin so müde, Marcel, so durch und durch erschöpft. Es ist alles eine so harte Arbeit ohne Dich, meinen besten Freund, meinen Geliebten. Ich versuche mein Bestes, stark zu sein und Dir keine Schande zu machen. Es gelingt mal mehr, mal weniger gut. Es ist ein so unbeschreiblich schwieriger Weg.

19.06.2015

8 Wochen. Das Wetter kann sich nicht entscheiden. Entweder die Sonne schreit, oder der Himmel kotzt aus Eimern. Heute war ich bei Tobias. Ich gehe mal davon aus, dass ich Dich lieb grüßen soll. Danach am Alex den Bus mit einem entfesselten Rudel italienischer Pygmäen geentert, die wirklich ALLES Nich-Dokumentierungswürdige ablichteten. Krawall im Bus, bis die Fahrerin in altberliner Charme in ihr Mikro bellte: „Wenn hier eener schreit, denn bin icke dett!“ Danach war Ruhe. Das hätte Dir gefallen. Mit Mutti telefoniert. Sie ist ganz niedergeschlagen. Für sie beginnt jetzt die schreckliche Phase des Realisierens. Dabei ist Realisieren nicht einmal das Schlimmste. Sich damit abfinden – das braucht Zeit. Lange, vielleicht für immer.

Kolummne Siegessäule, „Und Tschüss“, 06/15

•Juni 3, 2015 • 1 Kommentar

Ende April verstarb der mir liebste Mensch an einer Überdosis. Wobei „verstarb“ nicht der richtige Ausdruck ist. Er verreckte, nachdem er einen über vier lange Jahre währenden Kampf verlor. Alle Institutionen versagten, niemand half. Aber wie auch? Wenn derjenige, den es betrifft, sich nicht helfen lassen will. Jenseits der unendlichen Leere, die er hinterlässt, all der unbeantworteten Fragen, hat sich in mir eine immer weiter wachsende Wut gegen dieses Ungeheuer „Droge“ aufgebaut, das in unserer illustren Szene auf jeder Party tobt und von den Dancefloors nicht wegzudenken ist. Ich bin kein Kind von Traurigkeit. Ich habe auch so einiges eingeworfen in meinem biblischen Alter. Aber fällt nur mir das auf, dass sich die Spaßmacher, die Upper und Downer immer mehr zu Dämonen entwickeln? Liegt es an meinem Verlust, dass ich darin eine zersetzende Kraft sehe, die uns in zunehmendem Maße auffrisst? Klar, wir böllern uns mit Alk zu. Ein halber Rausch ist rausgeschmissenes Geld. Wenn uns die Besoffenheit langsam Richtung Bett zu treiben droht, hauen wir uns eine Nase rein – Speed, Koks, allen möglichen Scheißdreck bekommst Du an jedwedem Lokuseingang feilgeboten; zu Dumpingpreisen – man muss nur die richtigen Leute kennen. Und jeder, der es will oder braucht, kennt sie. Unter Garantie. Hinzu kommen allzeit beliebte Wachmacher wie X-Tasy, oder Anturner wie GHB, was man allerdings nicht dringend in Humpen zu sich nehmen sollte, denn sonst folgen Krampfanfall, Kotzen und Tatü Tata. Oder eben das gute Keta, zwar nicht so preiswert, aber ein angenehmer Flug. Zwischendurch noch ein Joint, vielleicht auch mal Propophol zum Runterkommen, und wenn diese blöde Spielverderberin der Müdigkeit allzu penetrant anklopft, greift man auf das unverwüstliche Heroin (oder „Äitsch“) zurück, was einen wieder in die Gipfel wilder bunter Bilder katapultiert. Vögeln? Ohne Poppers oder Schnee geradezu undenkbar. Dazu noch Viagra oder Cialis, weil sonst alles durchhängt. Die Kombi macht’s. Herrlich locker, und der Bettgenosse ist plötzlich doppelt so schön. Jetzt rennen die Jungs mit Glaspfeifchen durch die Kaschemmen – fast wie Opa mit der ollen Meerschaum – und jagen sich Crystal Meth, zärtlich „Tina“ gerufen, in die ohnedies schon jedweden Realitätsbezugs verlustig gegangenen Schädel. Wieso auch nicht? Wir kennen unsere Grenzen. Wir sind ja alle so hip, ewig jung und selbstbewusst. Der Spaß ist unser Diktator, und geisteskrank jagen wir ihm hinterher. Fast unmöglich, sich dem galoppierenden Irrsinn zu entziehen. Wir quatschen über unser Recht auf Zerstreuung und meinen Betäubung. Von tollen außer-körperlichen Gefühlen, die uns doch nur vergessen lassen, wer und wo wir sind. Wir werden zu großmäuligen Zombies, taumelnden Tänzern, und wir scheißen auf das Morgen, weil ja bloß das Heute zählt. Mein Mann war nicht der erste, den ich auf diese Weise verlor – ohnmächtig, hilflos, wütend, liebend, verzweifelt, dann wieder hoffnungsvoll, schließlich zerschmettert. Die Sensiblen bleiben auf der Strecke. Und die Szene füllt und füllt und überfüllt die Tankstellen. Kommt denn keiner mal auf die Idee, diesem ekelhaften Edikt der Selbstverleugnung und –vernichtung ein Ende zu setzen? Sind wir zu doof, zu eitel oder einfach nur zu ignorant, so was altmodisches wie eine Selbstkontrolle in unseren Reihen aufzubauen? Ein Bewusstsein zu schaffen? Wie viele müssen noch über die Klinge springen, bis wir zur Vernunft kommen? Ich will keine Partybremse sein. Ich frag ja nur.

Die ersten Wochen ohne Marcel

•Mai 27, 2015 • 1 Kommentar

Marcel war ein begnadeter Arzt. Er hatte eine Idee vom Mediziner, die mit dem System des Durchwinkens, des Kommerzes und der Ausbeutung der Arbeitskräfte kollidierte. Inspiriert von Kollegen, die damit wie auch immer umgehen glauben zu können, griff er zu Drogen. Diese Drogen haben ihn über die Jahre zerfressen und vernichtet. Alle Institutionen versagten. Ich konnte ihm nicht mehr helfen. Schließlich verstarb er, völlig entkräftet, seiner Seele und Liebe beraubt, seines Traums entleibt, an einer Überdosis. Er war der wertvollste Mensch unter der Sonne, ein Prinz voller Ideale, den die Realität und ihre unmenschliche Praxis gandenlos vernichtete. Es wird im Mai für ihn eine Trauerfeier und Beerdigung geben. Ich werde alle Feunde darüber in Kenntnis setzen. Und zeitgleich rufe ich seine Kollegen dazu auf, diese unmenschliche Wirkungsweise nicht weiter zu unterstützen und sich zu wehren, damit eine solche Tragödie sich nicht wiederholt. Der Mensch ist keine Maschine, der Arzt kein Gott. Auch und gerade der Heiler bedarf eines Schutzes. Meinem Marcie wurde er nicht zuteil. Kämpft ihr, die überlebten, gefälligst dafür, damit sein Tod nicht völlig sinnlos war. In Trauer und unendlicher Liebe.

25.04. Mein über alles geliebter Prinz. Heute ist der erste Tag ohne Dich vergangen. Die Zeit kriecht dahin. Es wird nie mehr schön sein. Du fehlst so sehr.

26.04. Geliebtester, heute beginnt der zweite Tag, da Du nicht mehr am Leben bist. Wir hatten gestern einen guten Abend. Röschi wollte dringend „Lady Bump“ auflegen, das hätte Dir soooo gut gefallen. Wir waren alle lustig, weil wir an Dich dachten und Du irgendwie bei uns warst.

27.04. Tag 3 ohne Dich, mein Prinz. Heute fällt es besonders schwer. Der erste Schock lässt nach. Das Wetter ist trübe. Aber Sonne würde mehr schmerzen. Dass mein Herz noch schlägt, dass ich noch atme – ohne Dich an meiner Seite… das ist alles falsch und verkehrt. Wie soll es weitergehen ohne Dich? Kein Mensch wird Dich je ersetzen noch erreichen können. Ja, mein Marcie, heute ist ein bleischwerer Tag.

28.04. Tag Vier ohne Dich, mein Mucki. Yvonne ist gekommen und hilft, wie und wo sie kann. Aber wie soll man helfen? Womit? Du bist nicht mehr da. Wir halten uns aneinander fest, um nicht im Schmerz zu ertrinken. Es bleibt nichts übrig.

29.04. Heute, an Tag 5, erwachte ich, verwirrt, noch im Traumland, tastete nach Dir an meiner Seite, Du warst nicht da, und ich fragte mich für Momente „Hast Du angerufen? Was ist los?“ dann verstand ich, dass Du tot bist. 10 Sekunden warst Du es nicht. Der Absturz danach unbegreiflich.

30.04. Tag 6.
Es sticht so sehr
Und lässt sich nicht beschreiben
Denn Schmerz ist ein so schönes Wort
Und hat mit Wehtun nichts zu tun

01.05. Eine Woche ohne Dich. Heute kann ich niemanden sehen. Ich liege im Bett und starre in die Glotze, aber es läuft alles an mir vorbei. Deine Kommentare, Deine bissigen Witze, Dein Lachen – alles fehlt. Vor genau einer Woche habe ich Dich zum letzten Mal in meinen Armen gehalten. Die Welt dreht sich nicht mehr, die Zeit steht still.

02.05. Der achte Tag war gewaltig. Ich hatte große Schwierigkeiten, ihn zu überstehen. Das erste Mal die Wohnung betreten, Dort habe ich dann auch geschlafen, ganz nah habe ich mich Dir gefühlt, und bin heute erwacht – Du warst natürlich fort, aber ein Hauch von Dir hat mich berührt. Ich bin bis zum späten Nachmittag geblieben. Ich konnte einfach nicht gehen. Ich habe Dir Sachen rausgelegt. Deinen Anzug, mit Weste und Deinem Lieblingsschlips. Darin wirst Du schön aussehen. Immerschön.

04.05. 10 Tage. Heute war ich den ganzen Tag in der Wohnung. Ich habe nichts geschafft. Alles exakt so chaotisch, wie Du es hinterlassen hast. Am liebsten würde ich es auch so lassen – in „Deiner Ordnung“, die wirklich eine spezielle ist. Aber es nutzt ja nichts. Ich küsse Dich, mein Prinz.

05.05. Tag 11 war so niederschmetternd… in der Wohnung geräumt, Deinen Unterlagen gekramt… als wäre man in Deinen intimsten Raum eingedrungen, hätte Dir alle Würde genommen… heute liege ich wieder gelähmt im Bett… Susan war hier und hat geholfen, auch Bertie und Matthi… bin gerade an einem sehr dunklen Ort… träumte von Dir die ganze Nacht, aber als ich aufwachte… ich weiß gar nicht, ob es je wieder Tag wird…

07.05. Tag 13. Heute haben wir unsere Grabstelle in der Urnenwand ausgesucht. So makaber das ist – Du hättest Dich kaputtgelacht. UW-G40-2.Etage. Ich sag Dir, das war ein Fest für unseren tiefgelegten Humor. Ein kleiner Platz unter Deinem Namen ist für mich reserviert. Ich komm dann zu Dir. Und jetzt die Krönung: Schmuckrosetten!!! Bronze. Die Inschrift wird Dich erfreuen. Ich bin jetzt in der Wohnung. Ich habe wieder hier geschlafen und bin wie neben Dir aufgewacht. Alles ist erfüllt von uns, das nimmt mir niemand weg. Deine Eltern, Oma und Totte besuchen Deine aufgebahrte Hülle. Ich weiß, Du bist nicht böse, dass ich nicht dabei bin. Wir haben uns ja schon verabschiedet. Morgen sind es zwei Wochen. Ich küsse Dich, mein Mucki, Ich kuschle mich an Deine Brust und schlafe eine Weile.

08.05. Ach, Marcie, heute komme ich heim und meine Seele wiegt so schwer. Keine vergossene Träne mag helfen. Dich nie wiedersehen zu dürfen… nie mehr Dich zu halten, zu streicheln, zu küssen… wäre es doch bloß mein Herz, das bricht… wärest Du nur noch am Leben… mein Prinz, was wird aus dieser Welt nach Dir? Ich kann es mir nicht vorstellen. Heute vor 14 Tagen hast Du noch geatmet. Ob Du noch lebtest? Ich weiß es nicht… ich weiß nichts mehr…

09.05. Tag 15, mein Marcie. Die mich überwältigende Leere war ein Zeichen. Sie wird für den Rest meines Lebens mein Begleiter sein. Das einzige, das mir bleibt, ist, ein kleines Denkmal für Dich zu bauen. Und dafür zu kämpfen, dass so sensible und feine Menschen wie Du von diesem Mediziner-Beruf nicht mehr aufgefressen , wobei sie ausgenutzt, ausgeblutet und zu guter Letzt noch von „wohlmeinenden“ Vorgesetzten an Drogen herangeführt werden, woran so sensitive Charaktere wie Du zerbrechen. Jeder weiß darum, niemand tut etwas dagegen. Usus. Doch was Dir angetan wurde, mein Geliebter, mein Leben, das darf nicht ohne Echo vergehen. Ich versuche, zu schlafen.

11.05. Tag 16. Weiter entrümpelt, immer mehr in Dein Verborgenes durchgedungen. Wie verzweifelt Du gewesen sein musst… Ich kann es nicht ermessen.

12.05. Der 17.Tag ohne Dich will nicht vergehen. Ich bin in Lähmungsstarre. Noch immer total fassungslos. Ich habe Dein Geschenk für mich gefunden. Da habe ich mich gefreut. Ich denke an Dich, pausenlos. Ein Dasein ohne Dich? Ohne Worte.

13.05. Tag 18. Ich träume jede Nacht, dass Du lebst. 10 Sekunden bleiben mir morgens, bevor ich begreife. Mein Herz ist im Schraubstock. Du hast mir doch versprochen, bei mir zu bleiben. Mich irgendwann im Rollstuhl über die Gänge zu treiben. Wir wollten doch alt werden zusammen. Und jetzt? Du warst das blühende Leben, ich doch ohnedies schon im Welken. Ich habe mich immer gewundert, warum Du Dich so sehr in mich verbissen hast? So strahlend, elysisch schön. Könnte ich bloß mit Dir tauschen…den natürlichen Weg gehen… Was soll ich mit meiner Kraft, wenn ich sie in nichts investieren kann? Marcie, mein Mucki, ich will nirgendwo mehr hin – bloß noch in Deinen Armen ruhen.

14.05. Tag 20. Gestern habe ich die Katzen heimgeholt, mein Prinz. Sie haben sich wieder mal gezofft und Libre hat Kuba vertrimmt. Heute war wieder so ein Tag der Starre. Ich denke, ich bleibe heute Abend zuhause. Sollte mir nicht die Decke auf den Kopf fallen. Was in der momentanen Situation nicht die denkbar schlechteste Alternative wäre.

15.05. Nacht 20. Heute ist Chantals. Da bist Du gerne gewesen. Hast Dir freien Lauf gelassen. Ich weiß gar nicht, ob ich da je wieder hingehen kann ohne Dich. Wir werden sehen. Wir.

15.05. Jetzt ist es exakt 3 Wochen her, da ich Dich fand, da ich Dich zum letzten Mal in meinen Armen hielt, Dich küsste, Deine Haare streichelte, Dich roch. Sollte die Zeit Wunden heilen, dann muss sie sich beeilen. Noch kriecht sie dahin, und jeder Tag ist eine große Last. Aber unsere Liebe, die bleibt, die ist in jedem Winkel unserer Wohnung, unserer Heimat spürbar. Sie war groß, diese Liebe, manchmal übermächtig, hat gebrannt, ist bisweilen explodiert, aber stand niemals infrage. Leider haben wir beide verloren. Aber ich weigere mich, unsere Liebe aufzugeben. Die halte ich fest bis wir uns eines Tages, irgendwo, irgendwie wiedersehen. Du wirst mich nicht los, mein Mucki, das kannst Du Dir schonmal jetzt abschminken. Und wenn wir wieder zusammen sind, dann erwartet Dich ein ganz schönes Donnerwetter! Und danach, wie stets, das Schönste: Die Versöhnung.

16.05. Nacht 21 ist vorüber. Solange waren wir noch nie getrennt – zumindest nicht, ohne voneinander zu hören. Ich rufe Dich an und lausche Deiner Stimme auf der Mailbox. Es ist ein anderes Vermissen jetzt, ein endgültiges. Ich kann es noch nicht ansatzweise begreifen. Aber mein Versprechen gilt: Es wird keinen anderen mehr geben nach Dir. Da sind Deine Fußstapfen viel zu groß. ich warte, weil Du mich erwartest. Unsere Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt. Wir sehen uns im Traumland, mein Prinz. Ich küsse Dich zur Nacht.

17.05. Tag 22 war… wechselhaft. Ich war mit Bertie beim Friedhof und habe die Blumengestecke für Deine Beisetzung ausgesucht. Danach wieder Räumen, Rümpeln, schließlich viele Briefe geschrieben. Danach mit Tea und Annana gesessen. Rational alles erklärlich – aber das Herz spielt nicht mit. Wie soll ich bloß weitermachen in dem Bewusstsein, Dich nie nie wiederzusehen? Wie soll das gehen? Wie konntest Du nur, mein Marcie, wie konntest Du? Ich dachte, es geht nicht schlimmer nach diesem grottigen 2013… aber jetzt? Was soll ich noch denken…?

17.05. Tag 23. Sonntag. Ich verbringe ihn im Bett vor laufender Glotze. In guter alter Tradition. Unser Bettsonntag. Es ist alles ganz still, draußen eher frisch, die Katze guckt mich mit dem Arsch an. Du bist hier, ganz nah, ich kann Dich spüren. Come rain and come shine. Schau ruhig öfter vorbei. Und bring mir Zeit und Ruhe mit.

18.05. Tag 24. Heute hättest Du Dich kaputtgelacht. Hast Du sicher sowieso. Bin mit dem Bus zu unserem Arzt Tobi- tief im Osten- wo ab Mitte lauter Cindys und Mandys zustiegen, Unterhaar schwarz, darüber entweder blonde Afghanen- oder rote Teckelmatte, das wie Nasswäsche über der Leine hängende Oberarmfleisch mit ungelenken Billigtatoos verziert und Frust in der Fresse, der direkt aus dem Knochenmark gespeist wird. Superfies!!! Autounfall – man muss einfach glotzen, auch wenn es wehtut. Auf dem Rückweg bin ich dann rustikal über einen Bordstein gestolpert und habe mich saftig auf die Fresse gelegt. Mitten auf der Straße!!! Alles aufgeschürft . Siehst Du, schaffe ich locker ohne Dich. Du hast Dich gewiss wie Bolle amüsiert, ich kenn Dich doch. Die Bude entwickelt sich. Man ahnt, dass sie eine menschliche Behausung ist. Sie wird langsam wieder so, wie wir es wollen. Das wird Dir sehr, sehr gut gefallen.

19.05. 25. Heute war ein schräger Tag, ich habe ihn gar nicht erst reingelassen. Helmutchen hämmerte wie Klopfspecht. Das Schloss ist jetzt wieder heil, die Scheiben werden ersetzt, alle Brüche sind eingegipst. Gegen 21.30h bröckelte die Decke auf mich zu, da habe ich dann die Wohnung verlassen und das Weite gesucht. Natürlich nicht gefunden. So bin ich wieder im Neuen Ufer gelandet, in dessen dunkelster Nische ich mich verkrieche. Das reimt sich sogar. Ich bin bei mir, da bist Du mir am nächsten. Neues Ufer – verrückt, wie so ein blöder Kneipenname an symbolischer Strahlkraft gewinnt. Ich bin zu neuen Ufern gezwungen. Ich hoffe, ich komme bald an. Dich nehme ich mit. Im Handgepäck.

20.05. 26. Habe mich mit Wolf vor einem Kreuzberger Café in ranzigen Sesseln postiert, bevor ich beim Notar war. Träge Tage in fremden Vierteln. Das Leben könnte so schön sein.

21.05. 27. Das Schlafzimmerfenster ist heile! Wieder einiges geschafft. Der Alltag möchte sich nicht einstellen. Aber das will ich ihm auch nicht geraten haben! Vor vier Wochen, dieser letzte gemeinsame Nachmittag, da war endlich wieder Frieden nach einer stürmischen Zeit. Du hast Dich noch an mich gekuschelt und in meinem Arm geschlafen. Ich bin so froh, dass wir uns nicht gestritten haben, dass wir wieder zu unserer Einheit fanden. Da habe ich es endlich wieder gespürt: Du machst mich vollkommen. Das bleibt, mein Engel.

22.05. 4 Wochen. Unfassbar. Unvergessen.

23.05. Tag 29. Heute waren Deine Eltern da. Versuchen das Unverständliche zu verstehen. Ich bin leider keine Antwortmaschine. Aber der Besuch wahrte Anstand und Würde. Jetzt mit Griseldis, die wunderbare Portraits von Dir erstellt hat. Wir reden schön über Dich. Verliebt wie am ersten Tag.

25.05. 30 Tage und Nächte ohne Dich. Solange waren wir noch nie getrennt. Heute war beischwer. Der Abend leichter. Ich befinde mich auf einer Achterbahnfahrt. Ich hoffe bloß, dass Du, der einzige Mensch der mich wirklich versteht, mich hörst. Irgendwo in diesem Dazwischen. Ich wünschte mir, dass sich wenigstens Schorf bildet auf dieser Wunde. Doch momentan tut sich nichts. Und weder Tränen noch Schreie könnten einigermaßen adäquat ausdrücken, was ich empfinde. Mucki, mein Mucki. Nach dem Ende ist nicht Schluss.

26.05. Du bist, Tag 31, nebenan. Immer wenn eine Tür sich öffnet, vermute ich, Du schaust herein, mit Deinem Silberblick, krähend und führst eines Deiner irren Ballette suf, über die ich so sehr lachen kann. Du Unvergleichbarer. Ich habe Dich von Tag zu Tag mehr geliebt. Dieser Prozess nimmt nicht ab. Diese Liebe ist jetzt mein einziger Motor. Du Großer, Schöner, Lustiger, Trauriger. Ich leiste mein Leben ab. Dir zu Ehren. Ich bin froh, wenn du die Hand ausstreckst. Es war eine große Ehre und mein edelster Stolz, dass Du mir die Hälfte Deines Lebens schenktest. Du hast mir alles geschenkt. Und was war dies eine schöne Zeit. Groß, ganz groß, Mucki, Das macht uns keiner nach.

27.05. Tag 32 war eine saftige Bruchlandung. Wieder mal (*Gähn*) völlig gelähmt. Gegen Abend aus der Starre erwacht, Nörchen kam und gab die Katzenflüsterin, dann mit Lexi die *alten Zeiten* durchgekaut. Du weißt ja – *Maria Stuart* in Chemnitz. Da waren wir alle so eng, das war so wertvoll, das nimmt uns keiner weg. Auch nicht dieses Unikom Tod, das sich zwischen uns zu schieben versucht. Ich schlafe jetzt, mein Prinz. Wir sehen uns im Traumland.

27.05. 33. Gestern Nacht hast Du mich ganz schön verarscht. Du bist mir im Traum begegnet und hast enthüllt, dass Dein Tod bloß fauler Zauber wahr. Du hast die Geschichte so real geschildert – wie so viele Deiner Geschichten – ich bin Dir glatt auf den Leim gegangen. Als ich aufwachte, da war es so, als seiest Du bis gerade eben hier gewesen. Es war seltsam… nicht traurig… lakonisch… So viel Leben um mich. Besuch mich bald wieder.

WERS GLAUBT – Siegessäule Titelstory 05/15

•Mai 4, 2015 • Kommentar verfassen

Israel und Iran treten in eine neue, brandgefährliche Phase ihres jahrzehntelang schwelenden Konflikts. Die IS-Milizen wuchern wie eine bösartige Geschwulst und rekrutieren immer mehr verblendete Jugendliche, auch aus unseren Breitengraden. Fürbittende Wutbürger marschieren gegen die Thematisierung von Homosexualität im Lehrplan. Indiana, sonst maximal bekannt für seine Indy-500-Straßenrennen, hat jüngst den „Religious Freedom Restoration Act“ verabschiedet, der es Ladenbesitzern erlaubt, Schwule und Lesben unter dem Vorwand religiöser Überzeugung nicht zu bedienen. Putin lässt grüßen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Und in Berlin wird der 31.10.2017 einmalig und offiziell als Feiertag begangen, weil der bekennende Antijudaist Luther 500 Jahre zuvor seine 95 Thesen an die Pforte der Schlosskirche zu Wittenberg nagelte – der evangelische Kirchentag wird vom klammen Senat mit großzügigen achteinhalb Millionen Teuro gesponsert. Soviel zur Trennung von Kirche und Staat. Wenn all das nicht Omen des Himmels sind… dann weiß ich auch nicht. Die Anfrage der Redaktion, mich des Themas der für uns relevanten großen Glaubensgemeinschaften – Judentum, Christentum, Islam – und ihrer Haltung gegenüber der queeren Lebenskultur anzunehmen, durchfuhr mich entsprechend wie der heilige Geist. Bin ich David Berger, oder was? Mein Background ist der eines Literaten und Philosophen, der mit Erreichen der Volljährigkeit das Mutterschiff des Katholizismus verließ. Aber wie heißt es so schön? Einmal Kathole, immer Kathole. Ich gebe zu, dass ich Religionen und jedweder Doktrin kritisch gegenüberstehe. Dennoch versuchte ich, mich von allen Ressentiments nackig zu machen und zunächst die generelle Haltung der Kirchen gegenüber Homosexualität abzuklopfen. Das ist ein weites Feld. Schwullesbische Juden haben sich 1995 in der Gruppe Yachad zusammengeschlossen, die in den Großstädten Deutschlands aktiv ist. Zudem hält das Netzwerk haGalil.com die Community auf dem Laufenden und sensibilisiert gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus. Der jüdische Glaube lehnt, zumindest in seiner orthodoxen Auslegung, Homosexualität grundsätzlich ab. Dabei beruft man sich, wie im Katholizismus, auf das berüchtigte Bibelzitat: „Du sollst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; ein Greuel ist das.“ (Wajjikra, Lev 18,22). Lesben kommen etwas besser weg, in der Bibel lässt sich weniger Griffiges gegen Frauenliebe finden, und der Talmud verwirft sie „nur“ als Obszönität. Kein Grund, in befreites Jubeln auszubrechen. Die lesbische Journalistin Sharon Adler, Chefredakteurin von AVIVA-Berlin.de, dem Online-Magazin für Frauen, engagiert sich unter anderem als Vorstandsmitglied in der Stiftung „Zurückgeben“ zur Förderung jüdischer Frauen in Kunst & Wissenschaft. In Westberlin geboren und aufgewachsen, ist sie durch die jüdische Lebenskultur geprägt, bezeichnet sich selbst dabei als „säkulare, nicht orthodoxe Jüdin.“ Freilich sind Festtage wie Hanukkah, Pessach oder Yom Kippur von besonderer Bedeutung für sie. In der patriarchalen Hierarchie betrachtet sie ihren Glauben als individuelle Privatsache, „gespeist von Gesetzen und Traditionen“, der vielgesichtig ist wie „die den Ritus unterschiedlich praktizierenden Synagogen in Berlin, die teilweise orthodox, teils liberal agieren“. Die Reformierten im Judentum versuchen, gelassen mit Homosexualität umzugehen und starre Traditionen zu revidieren. Im offiziellen Kurs jedoch schaltet die Ampel auf Rot. Ebenso, wen wundert’s?, die katholische Kirche, die Homosexualität als Krankheit definiert, die man heilen kann, und die reformistische Ansätze als Propaganda geißelt. Schwule werden, wenn man dem Portal zur katholischen Geisteswelt vertraut, mit Knabenschändern gleichgesetzt. Und damit die Hatz nicht als verbohrt frömmelndes Geschwurbel daherkommt, beruft man sich auf den Hipster-Philosophen Kant und seine Lehre von „der wollüstigen Selbstschändung“. Ja, so brandaktuell ist die katholische Kirche! Wem dabei, wie mir, die Galle explodiert, dem sei Tröstliches vermeldet. Noch sind Hopfen und Malz nicht verloren: „Sicher muss man sich bei der seelsorglichen Betreuung dieser homosexuellen Menschen mit Verständnis annehmen und sie in der Hoffnung bestärken, ihre persönlichen Schwierigkeiten und ihre soziale Absonderung zu überwinden.“ Calm down, sage ich zu mir selbst, ich wollte ja nicht vorschnell urteilen. Das überlasse ich anderen. Detlef Hildebrand beispielsweise, Mitveranstalter des schwullesbischen Straßenfests und der Gaynight at the Zoo: „Na ja – als Schwuler bist Du ausgeschlossen. Erst wenn Du nicht mehr gegen die natürliche Weltordnung agierst, wirst Du wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen.“ Allerdings scheint dem erklärten Katholiken diese Schoßrückführung nicht mehr allzu lukrativ: „Da die Kirche die einzige Möglichkeit, um auch als sündhafter Mensch in den Himmel zu kommen – das Fegefeuer – abschaffte, hat jetzt eh niemand mehr eine Chance.“ Frank Löbbert, seit Jahren in der BAH aktiv, hat seine katholische Erziehung zumindest nicht als Albtraum erlebt: „Unser Dorfpfarrer war den Menschen zugeneigt, liebevoll – und das ohne Hintergedanken – sehr sozial und bedingungslos karitativ, eben ein Vorbild an christlichem Seelsorger.“ Natürlich hat sein Coming Out das kindliche Gottesbild „fundamental durcheinander gerüttelt.“ Nach seinem heutigen Glaubensstatus befragt antwortet er: „Für mich ist der Mensch mehr als nur physische Kohlen-Wasserstoff-Verbindung, das hat aber wenig mit dem üblichen ‚gläubig’ zu tun.“ Durch seine Begleitung HIV-Infizierter und ihrer Angehörigen ist er täglich mit Krankheit und Tod konfrontiert. Spenden Kirchen den Betroffenen Trost? „Gläubige, oder auch nur spirituell denkende Menschen finden in diesen Situationen leichter ‚Selbstheilungs- und Selbstunterstützungskräfte’, die den anderen, die sich nie mit ‚Seins-Fragen’ auseinandergesetzt haben, nicht zugänglich sind.“ Die evangelische Kirche tickt anders als die katholische. Man gibt sich insgesamt toleranter. Moritz M., Jurist und zwischen Berlin und Hannover pendelnd, engagiert sich seit Jahren als offen schwul lebend und mit einem Mann verheiratet in seiner dörflichen Heimatgemeinde. Er beschreibt das so: „Im Gegensatz zur katholischen Kirche lehnen die meisten evangelischen Kirchen Homosexuelle, auch ebensolche Partnerschaften, nicht ab. Meine Landeskirche erlaubt auch Trauungen. Und: Bei der evangelischen Kirche entscheidet immer noch die Gemeinde über den Umgang mit Homosexualität. Meine Gemeinde steht hinter mir.“ Ungefragt fügt er hinzu: „Bei den Katholiken würde ich mich nicht engagieren. Dort ist die vatikanische Haltung ausschlaggebend. Mit der Heuchlerbande (gemeint sind die Kirchenoberen, nicht die Gemeindeebene) will ich nichts zu tun haben.“ Christian Kokalj, ebenfalls Protestant, sieht als Historiker in den Glaubensinstitutionen vielmehr manipulierende Aggressoren: „Was will man von jemandem erwarten, der den Nazis die Waffen gesegnet hat?“ Er verweist auf den Schriftsteller Hans Hauptmann, der in seinen Ekeltexten den Pseudonachweis lieferte, dass Jesus mitnichten ein Jude sondern ein Arier war. Hier entblößt sich die schier grenzenlose Freiheit in der Auslegung überlieferter Schriften. Jeder kann hineininterpretieren, was er will. Dementsprechend nüchtern fällt auch Kokaljs Antwort auf die Frage aus, warum sich Schwule in den ihre Lebensweise negierenden Kirchen wohl engagieren? „Wir wundern uns ja auch nicht über Menschen, die schizophren sind.“ Aber dass die Evangelische Landeskirche Sachsen unter ihrem Dach dubiose Homo-Heiler gewähren lässt, darüber darf man sich schon wundern. In den meisten islamisch geprägten Staaten ist Homosexualität untersagt, in einigen (u.a. Nigeria, Jemen, Saudi Arabien) wird sie mit der Todesstrafe geahndet. Sie ist „sündhaft“, wird dabei wie eine Suchtkrankheit behandelt, die der Mensch überwinden kann. Der freie Wille vermag die niederen Triebe zu steuern. Eine große Ausnahme bildet der offen schwul lebende Imam Muhsin Hendricks, der, in Südafrika praktizierend, die Organisation „The Inner Circle“ (theinnercircle.org.za) gründete und damit queere Glaubensschwestern und –brüder international unterstützt. Er setzt sich dabei nicht „bloß“ für die Gleichstellung Schwuler und Lesben ein, sondern fordert sie auch für alle Frauen, die im Islam traditionell unterdrückt werden. Zu Zeiten, da Islamophobie schwer in Mode ist, findet ausgerechnet jener Muslim die trefflichsten Worte: „Most mainstream churches continue to support the idea oft the nuclear family and thus will continue to become increasingly more irrelevant. Queer people of faith should either challenge the existing status quo or establish their own churches.“ Und auf die Botschaft seines Glaubens für Homosexuelle angesprochen meint er schlicht: „We celebrate sexual orientation and gender identity as a natural way and part of God’s creation.“ Noch ist er ein einsamer Rufer in der Wüste. Aber es ist beruhigend zu wissen, dass es Kirchenmänner seines Formats und Mutes gibt. Denn bedrohlicher Weise lassen sich in drei der vier großen Kirchen in Bezug auf Homosexualität erstaunliche Schnittmengen ausmachen – in der Ausgrenzung ist man sich einig. Wieso also tun wir uns das an? Die meisten von uns haben über ihr Coming Out doch ohnehin schon eine perfide Form der Verbannung durchlitten. Suchen wir in den Strukturen der Kirchen den Halt oftmals verlorengegangener Familienbande? Bieten sie einfache Antworten in einer immer komplexeren Welt, die den eigenen Fragen nicht mehr hinterherkommt? Verheißen sie die Erfüllung der Sehnsucht nach innerem Frieden? Oder mindern sie die Furcht vor der Endlichkeit unter Vorspiegelung eines Danach? Der Glaube beginnt, wo das Wissen endet. Barmherzigkeit, Gnade, Demut sucht man vielerorts vergebens. Bis auf Ausnahmen wie den Imam, wie einzelne Priester und Gemeinden werden wir mit Moraledikten traktiert, die lange überholt sind. Der Glaube kann vielen Menschen helfen. Ob er Berge versetzt, wage ich zu bezweifeln. Die Kirchen sind dazu angehalten, ihre erstarrten Dogmen gründlich zu überdenken. Denn sonst schaffen sie sich über kurz oder lang ab. Imam Hendricks gebührt das Schlusswort: „Often the people who decide the interpetation of sacred texts are men in powerful clerical positions, they decide what is right and what is wrong. They usually study for a number of years in a seminary and establish a hierarchy to enforce their normally patriarchal and homophobic interpretaion of sacred texts.“ Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen.